Die Saga vom Eisvolk 05 - Todsünde
Hühnerauge geheilt!
Cornelia heulte vor Freude. Nur mit Mühe konnte sich Tarjei freimachen, um zu erklären, daß er todmüde sei. Doch ihr Onkel und ihre Tante erbarmten sich seiner und schickten das Mädchen fort, damit er sich hinlegen konnte. Nur mit knapper Not gelang es ihm, die kleine, lebhafte, niedliche einjährige Marca Christiana zu bewundern, bevor er einschlief.
Spät am folgenden Tag erwachte er davon, daß sein Name geflüstert wurde. Wieder und wieder. »Tarjei! Schläfst du, Tarjei!« »Ja«, murmelte er.
»Das ist schade«, sagte Cornelia. Dann kicherte sie laut über ihren Schabernack.
Er schlug die Augen auf. »Guten Morgen, meine kleine Freundin!«
»Morgen!« lachte sie. »Die Sonne geht gerade unter!« »Was?« sagte er und erhob sich. »Habe ich rund um die Uhr geschlafen?«
»Ja. Ich habe mir schon überlegt, dir Wasser in den Mund zu gießen, aber das habe ich dann doch gelassen. War das nicht nett von mir?«
Er lächelte und wuschelte ihr durchs Haar. »Herr Gott, wie schön dich wiederzusehen, Cornelia! Ein richtiges, lebendiges, kleines Mädchen statt großer, starker Männer in einem Meer aus Gewalt und Tod. Cornelia, liebste, kleine Freundin!«
»Ich habe jeden Abend gebetet, daß du zurückkommen sollst«, sagte sie und genoß es unmäßig, ihn umarmen zu können.
»Und ich war mit schon sicher, daß wir uns nie wiedersehen würden«, murmelte er erstickt in ihr Rüschenkleid. »Du mein allerliebster Freund«, sagte sie rührselig. Er machte sich von den Rüschchen und Plüschchen los. »Ich kann aber nicht lang bleiben.« »Warum nicht?« rief sie traurig aus.
»Weil mein Vater und meine Mutter nicht wissen, wo ich bin. Sie wissen nicht, ob ich lebe oder tot bin. Ich habe sie zwei Jahre lang nicht gesehen.«
Cornelia versuchte, ein paar Tränen hervorzupressen. »Ich will nicht, daß du abfährst. Aber deine Eltern tun mir leid.«
»Siehe da, welch ein Fortschritt! Cornelia, geborene Gräfin von Erbach zu Berenberg, denkt an andere!« »Jetzt bist du aber gemein!« sagte sie schmollend. »Liebe Cornelia, wir sind beide älter geworden. Ich bin neunzehn, und du bist… Ja, wie alt bist du eigentlich?« »Bald elf.«
»Genau. Deshalb müssen wir jetzt vernünftiger sein. Ich muß fort, das verstehst du doch. Kannst du lesen und schreiben?«
»Natürlich! Du glaubst wohl, ich sei ungebildet, so wie die niedrigen Bauern und Diener hier im Dorf?« »Hör zu, du kleine, verdammt aufgeblasene Person!« sagte Tarjei und rüttelte sie. »Ich gehöre zum Teil selbst zu diesen Leuten, von denen du so verächtlich sprichst. Ich will von solchen Allüren von dir nichts hören, sonst ist es mit unserer Freundschaft aus. Verstehst du?« Nun gelang es ihr wirklich, ein paar Tränen zustande zubringen. »Cornelia nicht ausschimpfen«, schluchzte sie. »Nicht du, Tarjei! Ich bin jetzt auch artig.« »Das ist gut. Kannst du Briefe schreiben?«
»Ja«, leuchtete sie auf. »Tante Juliana hat mir das beigebracht.«
»Gut! Dann schreibe ich dir, sobald ich eine feste Adresse habe. Und du antwortest mir. Nicht wahr?«
»Oh ja! Nun habe ich auch noch einen Brieffreund. Dann reise schnell ab, damit ich die Briefe schreiben kann!« »Oh, welch trügerisches Frauenzimmer«, murmelte Tarjei auf norwegisch.
Der Graf schenkte ihm ein Pferd für alles, was er für sie getan hatte, besonders für ihren kostbarsten Schatz Marca Christiana. Das Pferd erleichterte seine Reise erheblich.
Unversehrt gelangte er nach Dänemark, und dann war er in Kopenhagen und wartete auf eine Schiffspassage nach Norwegen.
Tarjei konnte nicht schnell genug nach Hause kommen, immer stärker bildete er sich ein, wie sehr sie zu Hause warteten, womöglich im Sterben liegend, auf den verlorenen, ältesten Sohn, daß jede Stunde bei seiner Heimreise zählte.
»Dummes Zeug«, sagte er sich und schüttelte seine Phantasien ab.
Da wurde er von dem gewaltigen Bedürfnis ergriffen, seine Cousine Cecilie zu besuchen. Das Bedürfnis war nicht so irrational, wie das, was er sich zusammengesponnen hatte, es war ein wirklich hartnäckiges Erfordernis.
Aber wo wohnte Cecilie? Gabrielshus war die Adresse, das wußte er, weil er dorthin geschrieben hatte. Aber wo lag das?
Einfache Erkundigungen zeitigten schnell ein Ergebnis. Nein, es war nicht abschreckend weit von Kopenhagen entfernt.
Aber schaffte er das? Wenn er nun das Schiff verpaßte? Der Zwang, Cecilie besuchen zu müssen, nahm immer mehr zu.
Ich muß natürlich meine
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