Die Saga vom Eisvolk 05 - Todsünde
ich habe versucht, mit dir in Verbindung zu treten. Auf übernatürlichem Weg. Und…«
»Das ist dir gelungen«, sagte Tarjei knapp.
Er hatte während ihres gesamten Redeschwalls mit behutsamen Fingern Alexanders Rücken abgetastet. Genau im Kreuz schien das Zentrum des Übels zu liegen. »Ich glaube…« »Was denn?« »Ich glaube, die Kugel ist gewandert!« »Oh, Tarjei, habe ich ihn umgebracht?«
»Du hättest es können. Cecilie, wir müssen jetzt versuchen, sie rauszuholen.«
»Oh, willst du es machen, Tarjei, willst du es machen?« »Ich? Du mußt mir natürlich dabei helfen! Ihr auch, Wilhelmsen.«
»Natürlich«, sagte der Diener und wurde ganz blaß um die Nase. »Aber Tarjei, wenn er stirbt?«
»Sehr gut möglich. Versuchen wir es aber nicht, dann stirbt er ganz bestimmt.«
Cecilie wurde es schwindlig vor Augen. Sie wollte an dem Eingriff nicht teilnehmen. Nicht, wenn Alexander der Patient war, dazu fehlten ihr die Nerven. Ebensowenig hatte sie Lust zu sehen, wie er von innen aussah. Auf der anderen Seite war sie bereit, alles zu tun, damit er lebte.
Tarjei erteilte Anweisungen. »Wilhelmsen, holt eine Flasche Branntwein! Alexander ist jetzt bewußtlos, und das ist von großem Vorteil. Aber sollte er aufwachen, dann muß er mit einem anständigen Vollrausch betäubt werden. Er ist daran gewöhnt, ich habe in früher schon einmal behandelt. Aber zuerst wascht ihr ihn! Und du, Cecilie, nimmst dieses Pulver hier, das ist blutstillend, rühr es in warmes Wasser, in eine Schale, die am Bett bereit steht. Meine Reisekleider sind ganz staubig. Wilhelmsen, besorgt mir saubere Kleider!«
Der Diener schaute Tarjei mit großen Augen an. Was waren das für seltsame Ideen?
Tarjei war gewiß ein Mann des Fortschritts auf dem Gebiet der Medizin. Aber nicht hundertprozentig. So fand er es in der Ordnung, daß Cecilie an dem Eingriff teilnahm, gekleidet in ein schwarzes und stoffreiches Kleid mit vielen Falten, in denen sich Staub hervorragend verstecken konnte. Auch der Diener mußte seine Kleidung nicht wechseln, ebensowenig wurde die Bettwäsche gewechselt, so verschwitzt und schmutzig sie nach Alexanders letztem langwierigen Krankheitsschub auch sein mochte.
Doch Tarjei hielt in seinen Dingen Ordnung. Die Kiste hatte er den ganzen langen Weg durch Nordeuropa bei sich gehabt, und kurz darauf war alles für den Eingriff vorbereitet.
Aber als er ein unglaublich scharfes Messer ergriff, das er im Kerzenschein vor und zurückführte, spürte Cecilie, wie sie erbleichte.
Wenn sie doch nur auf und davon laufen und die Hände vor die Ohren halten könnte, bis Tarjei riefe, daß alles vorüber und Alexander wieder gesund sei!
Doch das wäre feige gewesen. Siljes Enkelin durfte nicht feige sein. Sie schluckte hörbar. »Was soll ich tun?«
Tarjei reichte ihr eine leere Schale und eine der weißen Servietten, die sie aus dem Wäscheschrank geholt hatte.
»Trockne hiermit das Blut ab! Und Ihr, Wilhelmsen, Ihr kümmert Euch um Alexander. Haltet ihn fest, falls nötig!« Der Diener nickte.
Im Krankenzimmer herrschte eine sonderbare Atmosphäre. Alexander hatte einen großen Kleiderschrank im neuen Barockstil anfertigen lassen, der heftig gegen die strenge Linienführung der Renaissance verstieß. Der dunkelbraune Schrank war mit drallen Cherubim, die ins Hörn stießen, und einer Orgie an Blumenranken verschwenderisch verziert. Das Schlüsselloch war geschickt hinter einer drehbaren Blüte verborgen. Auch das Bett, um das sie nun standen, war im verschwenderischem Barockstil gehalten, mit sich windenden Bettpfosten und verschnörkelten Ornamenten an den Giebelseiten. Dort habe ich einmal gelegen, dachte Cecilie abwesend. Nun lag Alexander in seiner Schicksalsstunde dort. Sein Rücken war durch die vielen Kerzen der Kandelaber effektvoll beleuchtet. Es schien, als habe er die Arme viel benutzt; der Rücken war oberhalb der häßlichen Rötung ungewöhnlich muskulös. Alles im Raum war still.
Tarjei brauchte lange, um sich innerlich auf die Situation einzustellen. Dann schnitt er los. Cecilie schloß krampfartig für eine Weile die Augen. Alexander rührte sich nicht.
Blut und Eiter floß aus der Wunde, und Cecilie hatte soviel zu tun, daß ihr keine Zeit blieb, sich zu ängstigen. Tarjei preßte das blutstillende Mittel auf die Wundränder, Serviette für Serviette mußte fortgeworfen werden, bevor der Blutfluß abnahm, und Tarjei bedeutete ihr durch Nicken, dem Diener zu helfen, Alexander absolut ruhig zu halten.
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