Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
erschütternden Nachrichten über Mattias' Verschwinden mit grenzenlosem Kummer. Und setzte sich sofort nieder, um nach Hause zu schreiben.
Zu seiner Frau sagte er: »Cornelia, ich muß sofort heimfahren. Einer meiner Verwandten ist verschwunden. Ich muß heim, um zu sehen, ob man ihn wiedergefunden hat - und um seine Eltern zu trösten.«
Und noch ein weiterer Gedanke rumorte in seinem Hinterkopf: Mattias hätte den Schatz des Eisvolks erben sollen. Wenn er verschwunden blieb, wer sollte dann an seine Stelle treten?
Aber Cornelia war vollkommen außer sich. Hatte er wirklich vor, sie jetzt allein zu lassen, wo sie doch in wenigen Monaten niederkommen würde? Dachte er denn immer nur an sich selbst?
Noch in vielen anderen Dingen war sie ganz unmöglich geworden. Sie wohnten im Schloß, denn sie konnte sich nicht vorstellen, in eine ärmliche Arztwohnung umzuziehen. Sie sonnte sich im Glanz seiner Berühmtheit, die sich langsam einstellte, aber sie wollte nicht, daß er tagsüber zur Arbeit ging, er sollte zu Hause bei ihr sein. Oder sie hatte einen lustigen Ausflug geplant, den sie unbedingt machen mußten, gerade wenn er mitten in einer Forschungsarbeit steckte. Oder sie gab vor, krank zu sein. Damit hörte sie allerdings recht bald wieder auf, denn Tarjei hatte die unangenehme Fähigkeit, sich auf Krankheiten zu verstehen - auch auf vorgetäuschte.
Es gefiel ihr, ihn eifersüchtig zu machen, denn es war so spaßig, seine Reaktion zu sehen. Manchmal tat sie so, als sei sie selbst eifersüchtig, und genoß seine Beteuerungen, daß sie in dieser Hinsicht nichts zu befürchten habe. Und sie zettelte zu gerne kleine eheliche Streitigkeiten an, nur wegen der anschließenden Versöhnung - und es war immer Tarjei, der den ersten Schritt dazu tun mußte, nach einem Zwist, den sie selbst angefangen hatte, wegen nichts und wieder nichts. Wenn er schließlich um Verzeihung gebeten hatte, war sie weich und zärtlich wie ein Kätzchen und sagte, daß niemand auf der ganzen Welt glücklicher sein könne als sie beide.
Und Tarjeis Nerven beruhigten sich dann langsam wieder. Aber jedesmal brauchte es dazu ein wenig länger. Er schrieb alle Launen ihrem Zustand zu, aber in seinem tiefsten Innern war ihm sehr wohl bewußt, daß Cornelia so war, schon seit dem allerersten Tag ihrer Begegnung - als sie noch ein kleines Kind gewesen war. Genauso eigensinnig und selbstbewußt war sie schon damals gewesen.
Also änderte er seinen Brief und schrieb statt dessen, daß der Zustand seiner Frau es ihm unmöglich machte, sie allein zu lassen, daß er aber zutiefst hoffte, daß Mattias wieder aufgetaucht sei. Und daß sie sein vollstes Mitgefühl hatten, daß er Tag und Nacht an sie und den kleinen Jungen dachte. Sie sollten auf jeden Fall sofort antworten.
Natürlich hatte er nach Hause geschrieben und von seiner Eheschließung berichtet und darüber, daß sie bald Familienzuwachs bekommen sollten, aber ob die Briefe angekommen waren, das wußte er nicht.
Diesmal allerdings ging es schneller mit der Post. Er bekam einen neuen Brief, von seinem Vater Are. Es war ein besinnlicher Brief, aber trotzdem nahm er Tarjei sehr mit. Mattias war nicht wieder aufgetaucht. Yrja war teilnahmslos und apathisch, nicht in der Lage, sich noch über irgend etwas zu freuen. Aber Kolgrim war ihnen eine große Hilfe, jetzt war er es, in den alle auf Grästensholm ihre Zuversicht setzten. Nach den ersten heftigen Ausbrüchen und Verdächtigungen gegen ihn hatten sich die Gemüter wieder beruhigt, und für Yrja und Tarald war er nun ihr einziger Sohn. Aber der Kummer saß auf Grästensholm in jeder Ecke.
Womöglich noch schlimmer stand es auf Lindenallee. Denn zusätzlich zu dem Verlust von Mattias war nun auch noch Meta ernsthaft krank geworden. Ob Tarjei nach Hause kommen könnte? Jetzt hatten sie nur noch ihn, auf den sie bauen konnten.
Heimfahren, das konnte er nicht. Es waren nur noch wenige Wochen, bis das Kind geboren werden sollte, und Cornelia ging es wirklich ziemlich schlecht - obwohl sie natürlich ihre Leiden bis ins Groteske übertrieb. Aber anschließend würde er fahren, ganz egal, was sie dann davon hielt. Denn jetzt brannte die Unruhe in ihm. Meta, mit der er eigentlich nie viel gemeinsam gehabt hatte, war immerhin seine Mutter, und er liebte sie sehr.
Und der kleine Mattias… er hatte ihn immer so fröhlich und liebevoll gestimmt.
Nein, es tat zu weh, daran zu denken!
Aber Cornelia sagte nichts dazu, daß er abreiste, nachdem die
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