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Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe

Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe

Titel: Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
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zu suchen. Zu dem Zeitpunkt waren fast zwei Jahre vergangen seit dem Tag, an dem Mattias verschwand.
    Wie oft wanderten die Gedanken seiner Eltern zurück zu dem Sommer, als er noch bei ihnen war. Dem Sommer 1633…

3. KAPITEL
    Ein kleiner Hirtenjunge saß am Ufer des Skagerrak. Die Schafe weideten friedlich im struppigen Gras am Fuß der Klippen. Er selbst saß ganz oben auf einem Felsen, so daß er sowohl die Schafe als auch das glitzernde Meer beobachten konnte.
    Er hatte sich eine Weidenflöte geschnitzt, aber es war schon zu spät in diesem Jahr und das Holz zu trocken, so daß er keinen Ton hervorlocken konnte, nur ein heiseres Wispern. Denn die Rinde war nicht ordentlich abgegangen, und alles war nur Flickwerk.
    Neben sich hatte er den dicken Stock, sein einziger Schutz gegen wilde Tiere, falls sie seine Schafe anfallen wollten. Aber die Gefahr war nicht groß, hier am offenen Meer war er ziemlich sicher.
    Eine ganze Zeit schon hatte er den dunklen Gegenstand beobachtet, der hier und da zwischen den glitzernden Meereswellen auftauchte.
    Jedesmal war der Gegenstand größer geworden. Er wurde wohl von der auflaufenden Flut Richtung Land getrieben. Als er das nächste Mal über das Wasser blickte, hatte sich der Gegenstand aus dem Sonnenstreifen herausbewegt, so daß er ihn nun deutlich sehen konnte.
    Es war ein kleines Boot. Und es sah nicht so aus, als ob sich jemand darin befand.
    Ein schöner kleiner Prahm war das, wie er eine Weile später erkannte. Er hatte die Schafe inzwischen vergessen, aber es passierte ihnen sowieso nichts.
    Ein Prahm, der sich losgerissen hatte, vielleicht kam er von so weit her, daß man den Besitzer nicht ausfindig machen konnte?
    Der Hirtenjunge hatte sich immer ein Boot gewünscht, war er doch am Meer geboren. Aber das war natürlich nur ein Wunschtraum. Er, der erbärmlichste und armseligste der Armen, konnte nicht im Ernst darauf hoffen, jemals ein Boot zu besitzen.
    Und deshalb wollte er diesen Prahm nur zu gerne haben! Aber der würde nie und nimmer an Land kommen, das sah er jetzt. Er würde vorbeitreiben, weiter hinaus auf das offene Meer.
    Er warf einen raschen Blick zu den Schafen hinüber. Sie konnten nicht weglaufen.
    Und wenn er sich den Kahn vom Bauern gleich nebenan ausborgte? Keiner würde es merken.
    Kurz darauf ruderte er mit raschen Schlägen auf den Prahm zu. Hin und wieder warf er einen Blick über die Schulter zurück, um zu sehen, ob er die Richtung hielt. Als er das nächste Mal schaute, zuckte er zusammen. Plötzlich saß jemand dort in dem Boot.
    Zuerst war er zutiefst enttäuscht, aber dann begriff er, daß hier nicht alles mit rechten Dingen zuging. Es war eine schmächtige Gestalt, die dort saß - mit sehr geradem Rücken und die Hände zu beiden Seiten fest um das Dollbord geklammert - und ihn mit großen Augen ansah.
    Der Hirtenjunge konnte nirgends Ruder entdecken. Er ruderte schneller, so daß sich die Wellen am Bug brachen.
    Als er beinahe bei dem Prahm angekommen war, stand er auf und ging an die Spitze des Kahns, um einen Zusammenstoß zu verhindern.
    Der kleine Junge im Prahm war jünger als er selbst, aber nicht viel. Er hatte hübsche kupferrote Locken und schrecklich vornehme, ziemlich beschmutzte Kleider an. Sein zartes Gesicht war überzogen von getrockneten Tränenspuren.
    »Wie gut, daß du gekommen bist«, sagte der Kleine höflich, aber mit zitternder Stimme. »Ich bin nämlich ganz schön durstig und hungrig.«
    Der Hirtenjunge half ihm herüber und band dann den Prahm am Heck des größeren Ruderbootes fest. »Ich hatte einige Scheiben Butterbrot«, sagte der Junge in seiner vornehmen Sprache. »Und ich habe Kolgrims so lange aufgespart, wie ich konnte, aber dann mußte ich sie einfach aufessen. Doch sie haben mir nicht besonders geschmeckt, weil ich wußte, daß sie nicht für mich waren.«
    Seine Augen füllten sich mit Tränen, die er zu trocknen versuchte.
    »Entschuldige, ich bin ein wenig traurig«, sagte er mit schüchternem Lächeln. »Denn Kolgrim ist fort. Wir wollten zuschauen, wie die Fische tanzen, weißt du, und ich habe sie auch gesehen, aber Kolgrim war nicht da. Ich bin im Boot eingeschlafen, und als ich aufwachte, war er fort. Er ist nicht gekommen, obwohl ich nach ihm gerufen habe. Der arme Kolgrim!« Seine Unterlippe zitterte.
    Der Hirtenjungen wußte nicht, was er denken oder sagen sollte. Er fühlte sich so armselig und ungebildet angesichts dieses zarten Wesens mit den sanften Augen. »Ist das lange her?«

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