Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
aber er fiel aufweichen Boden. Kaleb legte das Gitter wieder auf die Öffnung, für alle Fälle, und sprang hinterher.
Dann standen sie alle drei wieder auf fester, guter Erde. Das heißt, Knut lag auf der Erde, mit dem Gesicht zum Boden, und atmete all die Düfte ein, die sie so lange nicht gerochen hatten. Er weinte so sehr, daß es seinen armen Körper schüttelte.
»Kommt«, sagte Kaleb. »Wir müssen hier weg! Weg von Kongsberg.«
»Aber wohin?« sagte Knut. »Ich habe kein Zuhause.« »Heim zu mir«, sagte Mattias schnell. »Ihr müßte alle beide mit mir kommen!«
»Ja«, sagte Kaleb nachdenklich. »Denn zu meinem Zuhause zieht mich nichts zurück. Da ging es nur darum, die Jungen aus dem Nest zu stoßen, sobald sie flügge geworden waren. Außerdem liegt es ziemlich weit von hier. Ja, ich glaube wirklich, das allerwichtigste ist jetzt, daß wir Mattias nach Hause bringen. Seine Familie macht sich bestimmt ungeheure Sorgen.«
»Ja, und dort kann Knut geholfen werden«, sagte Mattias voller Eifer. »Ach, ich habe euch beide so gern! Ihr seid so anständig, die besten Freunde, die ich je hatte!« Kaleb legte ihm den Arm um die Schulter und drückte so fest, daß es weh tat. »Hör mal, Mattias! Du mußt mir jetzt gut zuhören. Knut und ich sind zwei ganz gewöhnliche Jungen, wir sind in keiner Weise etwas besonderes. Aber wir haben an deinem Beispiel gelernt, verstehst du? Sogar unsere Sprache ist sauberer geworden. Du hast die seltene Gabe, die besten Eigenschaften bei deinen Mitmenschen hervorzulocken.« »Habe ich das?« sagte Mattias verwirrt.
»Ja, das hast du«, sagte Knut. »Sogar Sören hat sich gebessert, nachdem du zu uns gekommen bist. Früher hat er mich die ganze Zeit gepiesackt, weil ich nicht so stark und robust war wie die anderen. Und alle Arbeiter in der Grube hatten dieselbe gute Meinung von dir.« »Hauber nicht.«
»Nein, Hauber… Der war nur so lange stark, wie er die Peitsche in der Hand hatte. Aber ich habe manches Mal auch Zeichen von Schwäche an ihm gesehen.« »Ich auch«, sagte Kaleb. »Und das war dein Verdienst, Mattias. Ja, wir wollen gerne mit dir kommen und vielleicht ein paar Tage ausruhen.«
»Aber ihr sollt bleiben! So lange es geht! Für immer, wenn ihr wollt.«
Kaleb lächelte. »Das sehen wir dann schon. Wir wollen niemandem zur Last liegen. Aber jetzt müssen wir uns beeilen.«
»Ja«, sagte Mattias. »Auf nach Grästensholm! Ach, ich freue mich ja so, daß ihr mitkommt! Der Obstgarten… all die vielen Zimmer… und das gute Essen!«
»Bitte sprich nicht von Essen«, stöhnte Knut sehnsüchtig. »Ich träume schon viele Jahre lang von Essen!« Sie fanden die ungefähre Richtung heraus, indem sie sich an den Bäumen und den ersten Anzeichen des Sonnenaufgangs orientierten, und dann begannen sie zu gehen, Knut zwischen sich tragend.
»Der Tag«, sagte Kaleb. »Wie seltsam das Wort klingt, ich erkenne es gar nicht wieder nach unserer ewigen Nacht.«
»Lieber Himmel, wie sehen wir bloß aus!« lachte Mattias im matten Licht der Nacht. Er war glücklich, unsagbar glücklich.
»Ja, wir sollten Menschen meiden«, lächelte Kaleb. »Und wenn wir an einen Bach kommen - so weit weg wie möglich - nehmen wir ein anständiges Bad.« »Zu dieser Jahreszeit?« »Na gut, wenigstens eine Katzenwäsche.« Sie lachten wieder.
Die Nachtkälte mit ihren böigen Winden war ungewohnt! aber es störte sie nicht, schließlich hatten sie tief unten im Berg Kälte auszuhalten gelernt.
Der Himmel im Osten wurde zunehmend heller. Bald sahen sie unter sich die Stadt Kongsberg und den Fluß Numedalslagen, den sie überqueren mußten.
»In der Stadt gibt es eine Brücke«, sagte Kaleb. »Aber die sollten wir lieber nicht nehmen.«
»Da ist noch eine«, sagte Mattias und zeigte flußaufwärts.
»Brücken bedeuten, daß Menschen in der Nähe sind«, sagte Kaleb. »Aber rüber müssen wir. Und zwar vor Sonnenaufgang. Kommt - wir gehen dort hinunter!« Sie schleppten und trugen Knut über Geröllfelder und nackte Felsen und durch Nadelwälder, ruhten aus und gingen weiter, ruhten aus und gingen, bis sie nicht mehr wußten, wo sie waren.
Aber dann hörten sie den Fluß rauschen, und Kaleb ging voraus, um nachzusehen, wo die Brücke war. Mattias und Knut warteten, Hand in Hand ganz andächtig und stumm angesichts der gewaltigen Natur um sie herum. Kaleb war bald zurück.
»Nicht schlecht getroffen«, sagte er. »Wir sind ein bißchen zu weit nördlich.«
Sie überquerten einen Weg,
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