Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
euch meine Hand drauf!« Satt und glücklich gingen sie zu Bett. Mattias lag noch lange wach und malte sich aus, wie die Rückkehr nach Hause wohl ausfallen würde…
Knut hatte eine schwere Nacht. Die Strapazen hatten ihn sehr mitgenommen, so daß keiner von ihnen recht viel Schlaf fand. Die beiden anderen lösten sich ab, um an seinem Bett zu wachen. Aber gegen Morgen schlief er ein, und als die Sonne schon kräftig schien, bereiteten sie ihm ein Sitzbett auf der Wiese vor der Hütte, indem sie Felle über einen alten Stuhlschlitten legten.
Dort ging es ihm prächtig. Er schloß die halbblinden Augen, dreht das Gesicht zur Sonne und genoß die Wärme.
Knut zuliebe blieben sie viele Tage auf der Alm. Es wäre unverantwortlich gewesen, in seinem Zustand die Weiterwanderung zu beginnen. Aber er bekam wie die beiden anderen auch eine frische, leicht gebräunte Gesichtsfarbe, und es sah so aus, als ob er sich mit der Zeit gut erholte. Mattias verlor kein Wort darüber, wie sehr diese Verzögerung an seinen Nerven zerrte. Statt dessen saß er oft an Knuts Seite, und sie malten sich aus, was sie alles tun würden, sobald Knut wieder gesund wäre. Denn ohne ihn weiterziehen - ein solcher Gedanke wäre Mattias niemals gekommen! Er sehe schon viel gesünder aus, versicherte Mattias ihm, und Knut stimmte ihm zu. Er fühlte sich viel kräftiger, hatte in den letzten Nächten nicht mehr ganz so schrecklich gehustet, und die Wunden an seinen Händen waren beinahe verheilt, wie er fühlen konnte. Kaleb hörte sie schwatzen, aber er sagte nichts. Nur seine Augen wurden dunkel vor Wehmut. Er kannte den Verlauf der Schwindsucht, er sah die hektischen roten Flecken auf Knuts Wangen…
»Ich bin so glücklich«, seufzte Knut. »Ich hätte mir nie träumen lassen, daß es ein solches Glück gibt. Spür nur die Sonne, Mattias! Merkst du, wie sie wärmt?« Und der kleine Mattias freute sich mit ihm. So verstrichen die sonnenerfüllten Tage auf der Alm. Sie wußten nicht, daß Ostern anbrach und verstrich, und es hätte sie auch nicht gekümmert.
»Jetzt können wir bald weiter«, sagte Kaleb. »Noch ein paar Tage, dann bist du wieder bei Kräften, Knut.« »Aber klar«, versicherte der Kranke.
Am nächsten Tag sagte Kaleb: »Es wird windig. Wir sollten Knut hereinholen.«
»Ja. Hörst du den Wind in den Bäumen, Kaleb? Hörst du, wie er seufzt und klagt?«
»Das tut der Wind immer«, sagte Kaleb. Die Sonne schien immer noch, also ließen sie Knut draußen, gut eingepackt, nur noch eine kleine Weile. Es war eine milde Frühlingsbrise, die durch das Bergwäldchen zog, und die wollte er gerne spüren, sagte Knut.
Und dort draußen, umhüllt vom weichen, warmen Sonnenschein, starb Knut.
Als sie ihn ins Haus holen wollten, waren seine blinden Augen der geliebten Sonne zugewandt, und auf seinen Lippen lag ein stilles Lächeln.
Sie begruben ihn im Wald, auf einer kleinen Lichtung, und setzten ein Kreuz auf das Grab.
»Das ist so ungerecht«, schluchzte Mattias. »Wo er doch beinahe schon gesund war!«
Kaleb legt ihm den Arm um die Schulter. »Knut wäre nie wieder gesund geworden, Mattias«, sagte er mit kummervoller Stimme. »Sein Sterben hatte schon in der Grube begonnen. Ich wußte es.«
»Und trotzdem hast du ihn mitgenommen?«
»Hättest du ihn denn zurückgelassen, wenn du es gewußt hättest?«
»Nein! Ich hätte mich noch viel mehr beeilt, um ihn nach draußen zu schaffen.«
»Genau das waren auch meine Gedanken. Um seinetwillen mußten wir uns beeilen. Und um deinetwillen mußten wir da raus, denn du hattest in dieser Grube schon gar nichts zu suchen. Und um meinetwillen, weil ich inzwischen erwachsen bin und man mich nicht mehr gebrauchen konnte für das, weswegen ich eigentlich da unten war. Aber herauslassen durften sie mich auch nicht, dann hätte ich ihnen bösen Ärger machen können. Ich war also wirklich in Lebensgefahr. Und außerdem habe ich mir so sehnlichst gewünscht, in meinem Leben etwas ausrichten zu können, das begreifst du sicher.«
»Ja«, sagte Mattias mit einer Stimme, die vor lauter Feierlichkeit ganz dünn war. »Du bist so ein feiner Mensch, Kaleb.«
»Und das sagst ausgerechnet du mir, mein kleiner Freund?« sagte Kaleb gerührt.
Schon am folgenden Tag brachen sie aus der Almhütte auf, nachdem Mattias einen Brief geschrieben und ihn auf den Tisch gelegt hatte. Kaleb konnte weder lesen noch schreiben, und Mattias' Fähigkeiten waren auch sehr lückenhaft. Er war ja erst acht Jahre alt
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