Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter
waren zur Ruhe gekommen. Sie saßen im Gras und versuchten, auf Grashalmen zu pfeifen. Es kamen aber nur ziemlich mißglückte Laute dabei heraus. Heisere Krächzer.
»Niemand würde sich besser zum Ehemann und Vater eignen als Ihr«, sagte sie leise. »Ich habe mich oft darüber gewundert, daß Ihr nicht geheiratet habt, Herr Mattias. Denn so jung seid Ihr ja wohl auch nicht mehr… ?« »Ich bin dreißig«, lachte er. »Ich weiß nicht, wie du das nennst. Uralt?«
»Nein, nein, natürlich nicht«, stammelte sie, blutrot im Gesicht. Immer mußte sie tief ins Fettnäpfchen treten! »Nein, ich bin zum Zusammenleben völlig ungeeignet, verstehst du, Hilde?«
»Wieso denn?« fragte sie, nun wirklich interessiert. Das hörte sich spannend an. Eine Herausforderung für jede Frau. »Ihr wirkt doch so vollkommen harmonisch.« »Mag sein. Aber das kostet Kraft. Mein ganzes Leben ist sehr kräftezehrend, verstehst du.«
»Wollt Ihr mir nicht davon erzählen?« sagte sie still und kroch in sich zusammen, zog die nackten Füße unter den Rock und legte die Arme um die Knie.
Er zögerte, aber sie merkte, daß er sich ihr gerne anvertrauen wollte.
»Es ist so schwierig, darüber zu sprechen. Ich hatte vor vielen Jahren einige sehr unangenehme Erlebnisse, mußt du wissen.«
Sie wartete. Sah ihn nur voller Zuneigung an. »Alle glauben, daß sie mir nichts bedeuteten. Daß ich sie vergessen habe. Aber Vater und Mutter wissen, daß das nicht der Fall ist. Tagsüber kann ich die Erinnerungen verdrängen, aber nachts, da kommen sie. Ich träume, Hilde, ich habe entsetzliche Albträume. Ich leide und schreie im Schlaf- manchmal schlafwandle ich auch. Mutter hat mich auf dem Weg zum See gefunden, und an vielen anderen merkwürdigen Orten.«
Hilde schwieg. Dann sagte sie: »Was habt Ihr erlebt, Herr Mattias?«
»Ich war in einer Grube eingesperrt. Zwei lange Jahre. Was ich dort gesehen und erlebt habe, hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, so daß ich es nicht mehr loswerde. Und ich hatte einen Bruder, einen Halbbruder, den ich sehr lieb hatte. Nein, es tut zu weh, darüber zu sprechen!«
»Vielleicht hilft es aber, darüber zu sprechen? Ach, wie viele Male habe ich mir gewünscht, ich hätte jemanden, mit dem ich sprechen könnte! Über all das, was ich in mir verbergen mußte. Und der arme Herr Andreas - als er mich von unserem kleinen Hof abgeholt hat, saß ich neben ihm und habe nur von mir selbst geredet, ich konnte gar nicht mehr aufhören, versteht Ihr, es war so schlimm und ich schämte mich so dafür, aber ich konnte nichts dagegen tun.«
»Ich glaube, es war sehr gut für dich, mit jemandem zu reden. Und Andreas kann eine ganze Menge vertragen.« »Deswegen kann ich gut verstehen, wenn Ihr Dinge in Euch tragt, die Euch auf der Seele brennen. Ich erwarte nicht, daß Ihr ausgerechnet mir alles erzählen wollt, aber wenn doch, dann wißt Ihr, daß es unter uns bleibt.« »Wo hast du gelernt, dich so gewählt auszudrücken, Hilde? Und so klug?«
Sie war verwirrt. »Meine Mutter hat mich viel gelehrt. Ich habe immer versucht, ihr ähnlich zu sein. Ich glaube, wenn ein Mensch stirbt, dann sollte man versuchen, all seine guten Eigenschaften zu übernehmen. Damit das Gute nicht verloren geht.« »Das ist ein hübscher Gedanke.«
Sie schwiegen. Vielleicht dachten sie daran, daß es unter Joel Nachtmanns Eigenschaften nicht so sehr viel gab, das sich zu übernehmen lohnte.
»Was geschah mit Eurem Bruder?« fragte sie leise. »Er war einer der unglückseligen Verdammten des Eisvolks. Er konnte nichts dafür. Aber er versuchte, mich loszuwerden. Er war es, der… Nein, ich will jetzt nicht hier sitzen und ihn beschuldigen.« Mattias hatte Mühe, sich wieder zu fassen.
»Verzeiht mir«, sagte Hilde. »Ich hätte nicht fragen sollen. Aber ich begreife jetzt, daß ihr nicht so durchweg glücklich seid, wie Ihr nach außen hin wirkt.«
»Das bin ich gewiß nicht, nein. Dann wirst du sicher auch verstehen, daß ich nicht das Recht habe, zu heiraten. Ich kann keine Frau in meine nächtliche Hölle hineinziehen.« Hilde wurde eifrig. »Aber ich glaube, ein Frau würde es als verlockende Aufgabe ansehen, beruhigend auf Euch einzuwirken. Frauen sind so, glaube ich. Sie wollen ihrem Mann etwas wirklich Wertvolles bedeuten. Und ich glaube, für seine Liebe können sie Unglaubliches ertragen.«
Er lächelte. »Ich dachte, du kennst keine Frauen?« Ihre Schultern sanken zusammen. »Nein. Aber ich kenne mich.«
Mattias legte eine
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