Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter
Totengräber bestätigen. Und dann waren da ja noch die vier in Stücke gerissenen Frauen. Wie erklärte der Pastor das?
Auf Grästensholm wußten sie nicht, was sie glauben sollten.
Liv beklagte sich: »Da ist doch etwas faul an der Sache. Das alles auf einmal ist zuviel des Guten. Oder wohl eher des Bösen, natürlich. Ein Werwolf, Hexen und vier getötete Frauen.«
»Ja«, sagte Mattias. »Großmutter hat vollkommen recht. Nur einmal angenommen, als reine Hypothese, ein Werwolf hätte diese Frauen zu Tode gerissen… Dann kann da etwas nicht stimmen! Ein Werwolf vergräbt seine Opfer nicht. Er kommt nicht mit Pferd und Wagen angefahren und legt die Toten fein säuberlich in Erdlöcher. Er reißt sie in Stücke, und fertig! So erzählt es jedenfalls die Sage. Ich glaube nicht an sowas.« Tarald meinte: »Nein, aber wenn wir in diese Richtung weiterdenken, ganz theoretisch, dann wird dem Werwolf, nachdem er wieder Mensch geworden ist, vielleicht bewußt, was er getan hat, und er versucht eilig, seine Spuren zu verwischen.«
»Vier Mal?« sagte Yrja. »Und alle Frauen waren hier in der Gegend unbekannt.«
»Ich verstehe das nicht«, sagte Liv. »Ich verstehe überhaupt nichts mehr!«
»Es bleibt uns nichts übrig als abzuwarten«, sagte Tarald. »Die kleine Hilde ist jedenfalls hier in Sicherheit, das arme Kind!«
Für Mattias war Hilde weder klein noch ein Kind, trotzdem dachte er ebenso wie sein Vater. Gut, daß sie endlich bei freundlichen Menschen in Sicherheit war. Sie hatte es wirklich verdient!
Obwohl die halbe Gemeinde mit der Büchse im Anschlag auf der Lauer lag, passierte in den folgenden Nächten nichts. Und später hatte der Mond soviel abgenommen, daß die meisten annahmen, die Gefahr sei vorüber. Aber einige dachten daran, daß des Henkersknechts Hilde und der Totengräber mitten am hellichten Tag Besuch von dem Ungeheuer bekommen hatten - lange vor Vollmond. Also hielten sie weiterhin Wache.
Hilde war furchtbar erschüttert über den Bericht der Hebamme. Also war es doch ein Werwolf! Und hinter ihr war er auch hergewesen! Der Gedanke war so entsetzlich, daß das Gehirn sich weigerte, ihn zu denken.
Auch die Kinder hatten die Gerüchte gehört, und sie malten die Schrecken drastischer aus als irgend jemand sonst. Da war es beruhigend, mit Doktor von Meiden sprechen zu können, der immer noch jeden Tag kam, eigentlich um nach den Kindern zu sehen, aber ihr schien es, als komme er sie besuchen, um ein wenig mit ihr zu plaudern. Daran lag ihr außerordentlich viel.
Dagegen sah sie Andreas nicht sehr oft. Er kam jeden Tag, und er grüßte immer gleichermaßen freundlich, aber irgend etwas Undefinierbares hatte sich in seine Haltung ihr gegenüber eingeschlichen, sie konnte nicht genau sagen, was es eigentlich war. Doch Hilde war noch nie energisch genug gewesen, einer Sache auf den Grund zu gehen, also wartete sie einfach ab und freute sich, ihn zu sehen. Mehr verlangte sie auch nicht. Er war ihr Wunschtraum. Unerreichbar und aus eben diesem Grund so verlockend.
Als sie wenige Tage später die Treppe herunter kam, herrschte große Aufregung. Gabriella kam mit einem verwirrten Lachen auf sie zu, die Hände an die erröteten Wangen gelegt.
»Ach, liebe Hilde, was sollen wir nur tun? Es ist einfach unglaublich, ich bin vollkommen durcheinander!« »Was ist denn geschehen?« fragte Hilde mit unsicherem Lächeln.
»Andreas! Stell dir vor, Andreas hat um Elis Hand angehalten! Ach, wie ist es nur möglich!«
Aber sie klang überhaupt nicht verärgert, nur schrecklich verwirrt.
Hilde war stehengeblieben, eine Hand fest um das Treppengeländer geklammert. Sie schluckte, um etwas sagen zu können, aber die Stimme versagte ihr den Gehorsam.
Gabriella merkte nichts davon. »Er ist drinnen und spricht mit Kaleb. Und Eli ist auf ihr Zimmer gelaufen, ich habe keine Ahnung, was sie davon hält.«
Auf einmal sah Hilde alles mit erschreckender Klarheit. Wie blind war sie eigentlich gewesen? Hatte Luftschlösser aus ihrer Sehnsucht, ihrem Wunschtraum gebaut, war die ganze Zeit nur von ihrer eigenen Situation ausgegangen, ohne zu sehen, was sich unmittelbar vor ihren Augen tat.
Schließlich fand sie ihre Stimme wieder. »Ich glaube, Eli ist sehr glücklich«, sagte sie tapfer.
Von ihr unbemerkt waren Andreas und Kaleb hinter ihr in die Halle gekommen.
Sie fuhr fort, und ihre Stimme war jetzt fester: »Wir haben schon darüber gesprochen, Eli und ich. Und ich weiß, daß sie sich nichts sehnlicher
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