Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
worden waren. Keuchend fiel sie zur Seite und rang nach Luft. Eine heftige Übelkeit übermannte sie, doch sie kämpfte sich durch die Erschöpfung hindurch, entschlossen, keine Schwäche zu zeigen.
»Sie ist es«, hörte sie den Magier sagen, als spräche er zu jemand anderem, den sie nicht sehen konnte. »Mit ihr wird die Verbindung endlich gelingen! Versorge sie mit allem, wonach ihr sterblicher Körper verlangt, dann bereite sie vor. Noch bevor die Sonne aufgeht, wird der wahre Herrscher von Thale erfahren, dass seine Rückkehr unmittelbar bevorsteht.«
Kiany kam es so vor, als durchlebe sie einen schrecklichen Albtraum mit grauenhaften Erscheinungen und Lauten, finsteren Kreaturen und Gestalten, die aus einer anderen Zeit und von einem anderen Ort stammen mussten, denn in ihrer eigenen Welt hatten sie keinen Platz. Das rote Zwielicht im Zeltinnern betäubte ihre Sinne und der süßliche Gestank der glühenden Kohlebecken erschuf traumähnliche Szenen, die sich rings um den Stuhl abspielten, auf den man sie gefesselt hatte. Sie nahm die Bilder und Töne in sich auf, ohne sie wirklich zu erkennen, und manchmal glaubte sie den Verstand zu verlieren.
Willenlos öffnete sie den Mund, um zu essen, was man ihr reichte, und zu trinken, wenn man ihr einen Becher an die Lippen setzte. Zunächst war es nur Wasser, aber dann folgte ein ekelhaftes Gebräu, das einen bitteren Nachgeschmack auf der Zunge hinterließ und einen leichten Schwindel erzeugte. Schon der erste Schluck versetzte sie in einen seltsamen Dämmerzustand irgendwo zwischen Wachen und Träumen. Die Silhouette des Kriegers in schwarzer Rüstung, der unmittelbar neben ihr stand, verschmolz mit den farbig gewandeten Magiern zu einer wogenden Masse. Die Angst war fort und mit ihr alle Gedanken an das Gestern und Morgen. Nichts war mehr wichtig.
Nach einer Zeit, die für Kiany sowohl wenige Herzschläge als auch einig Sonnenläufe umfassen konnte, wurden die Farben von einer rot gewandeten Gestalt verdrängt, die so dicht an sie herantrat, dass alles andere verdeckt wurde. Mühelos bahnten sich die glühenden Augen den Weg in ihren Geist und eine große Müdigkeit ergriff von ihr Besitz. Der Wunsch, endlich die Augen zu schließen, wurde übermächtig. Warum hatte sie das nicht schon längst getan? Seufzend schloss sie die Lider und ließ sich von der wohltuenden Dunkelheit davontragen. Irgendwo in den hintersten Winkeln ihres Bewusstseins spürte sie die eisige Hand, die sich auf ihren Kopf legte, und eine schwache Stimme flüsterte ihr zu, dass sie sich dagegen wehren müsse.
Sie war in Gefahr und musste ... Der Gedanke entschlüpfte ihr so schnell, wie er gekommen war, und im nächsten Augenblick hatte sie ihn auch schon wieder vergessen.
Wie auf einer dicken Wolke schwebte sie durch die lautlose Dunkelheit, frei von Schmerz und Angst. Doch etwas trieb sie unbarmherzig voran, schob und drängte sie durch die Finsternis.
»Enoaes deoloni mastur!« Aus weiter Ferne hallten die Worte durch ihre Gedanken. Beschwörend und unheimlich. »Enoaes deoloni mastur!« Die Stimme hatte an Macht gewonnen. Etwas Zwingendes lag darin und obwohl Kiany den Sinn nicht verstand, fühlte sie deutlich, dass ein wichtiges und gewaltiges Ereignis unmittelbar bevorstand.
Weit entfernt sah sie ein grünes Licht. »Enoaes deoloni mastur!«
Die Worte peitschten sie voran, wurden lauter und ungeduldiger. Das Licht vergrößerte sich rasch und entpuppte sich als ein glühender Ring, durch den grelles grünes Licht in die Schattenwelt drang ein Tor!
»Meister, ich rufe dich!« Die Stimme des Magiers hallte durch ihren Geist.
»Du hast mich warten lassen!« Nie zuvor hatte Kiany eine schrecklichere Stimme gehört. Die Antwort dröhnte in ihrem Kopf und sie erzitterte, während ihre Lippen die Worte mit unnatürlich verzerrter Stimme wiedergaben. Ich muss fort, dachte sie matt, doch es war zu spät. Der Magier hatte sie völlig in der Gewalt und niemand konnte ihr jetzt noch helfen.
Die Nacht war schon weit vorangeschritten, als Tabor sich noch einmal auf den Weg zu den Kuriervogelhöhlen machte, um nach Leilith und Chantu zu sehen. Der junge Elf fühlte sich nicht gut. Die Beratungen im Ratssaal zogen sich hin und er brauchte dringend ein wenig Bewegung. Wie erwartet hatte sein Bericht über das schreckliche Unheil, das über Caira-Dan hereingebrochen war, den Abner zutiefst erschüttert. Er hatte sofort den Rat einberufen, der Tabors Bericht über die verheerenden Ereignisse zur
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