Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
scheiterte schon im Ansatz, denn eine Faust krallte sich in ihr Haar und hielt sie fest. Etwas raschelte und das knirschende Geräusch von Schritten kam näher. Die Stimme, die ihr gleich darauf ins Ohr flüsterte, war voller Verachtung.
»Wach auf, Sterbliche!« Die Worte klangen so kalt und bösartig, dass Kiany erstarrte. Sie versuchte sich aus dem Griff zu befreien, doch ihre Hände waren hinter dem Rücken mit Stricken gefesselt, die ihr tief in die Haut schnitten. Ihre Beine waren zwar frei, aber dort, wo der Pfeil den Oberschenkel durchbohrt hatte, spürte sie ein Pochen, das sich schmerzhaft verstärkte, wenn sie das Bein zu bewegen versuchte.
Die Hand gab sie frei und stieß sie auf das harte Lager zurück. Ihr Kopf schmerzte und Tränen schössen ihr in die Augen. »Sieh mich an!«, befahl eine krächzende Stimme, aber Kiany folgte ihr nicht. Hartes Leder knarrte, etwas raschelte und wieder krallte sich die Faust rücksichtslos in ihr Haar. Kiany wurde brutal in die Höhe gerissen und stöhnte gequält auf. »Ich weiß, dass du mich hörst, Sterbliche.« Die Stimme wurde zu einem Zischen. Ein heftiger Schlag traf Kianys Gesicht und trieb ihr erneut die Tränen in die Augen.
»Sieh mich an!«, drohte die Stimme, doch erst der nächste Schlag vermochte ihren Widerstand zu brechen. Zitternd und verängstigt öffnete sie die Augen. Nur langsam verschwand der Schleier, den die Tränen hinterließen, aber Kiany erkannte die Gestalt in dem rubinroten Umhang sofort, die nur eine Armeslänge von ihr entfernt stand: Es war der Magier aus ihren Visionen.
Sie wollte schreien, doch eine namenlose Angst schnürte ihr die Kehle zu. Nur ein fassungsloses »Nein!«, das sie mit bebender Stimme hauchte, kam über ihre Lippen. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Ihr Herz hämmerte wie wild und die Furcht trieb ihr winzige Schweißperlen auf die Stirn. Der Rotgewandete bewegte sich und trat noch etwas näher heran. »Doch!«, spottete er und in diesem einen Wort lag eine Gier, die Kiany das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Die wallende Dunkelheit unter der rubinroten Kapuze, hinter der sich das Gesicht des Fremden verbarg, war jetzt ganz nahe. »Ich habe auf dich gewartet«, säuselte er mit brüchiger Stimme und kam noch näher. Ein widerlicher Geruch von Moder und Fäulnis streifte Kianys Nase und nahm ihr den Atem. Vergeblich versuchte sie sich abzuwenden, denn die Hand hielt sie noch immer erbarmungslos an den Haaren gepackt. »Ich habe nach dir gesucht«, murmelte der Magier. »Seit dem Abend, da ich deinen Geist das erste Mal berührte, habe ich auf dich gewartet.« Er lachte heiser. »Ich fürchtete schon, dich nicht zu finden, doch dann führte dich diese närrische Elfe geradewegs in meine Arme.« Seine Hand schnellte vor und die knochigen Finger umklammerten ihren Hals. »Jetzt bist du mein!«, krächzte er, während er ihr die andere Hand auf die Stirn legte. Zwei glühende Augen blitzten unter der Kapuze auf und hielten ihren Blick gefangen. »Du bist mein«, wiederholte er und Kiany spürte, wie die glühenden Augen tief in ihr Bewusstsein vordrangen. Die Berührung war grausam und kalt wie Eis. Sie schrie und wehrte sich verzweifelt vergebens. Sie versuchte die Augen zu schließen, doch Magie hielt sie gefangen und erlaubte ihr nicht, sich dem Blick zu entziehen.
Hinter ihrer Stirn tobte ein Sturm, während der Magier ihr Bewusstsein mit äußerster Grausamkeit erforschte, verschlossene Türen aufstieß und ihr die geheimsten Gedanken entriss. Nichts, was sie je erlebt oder gesehen hatte, blieb ihm verborgen, und was er fand, blitzte als wirre Fetzen in ihren Gedanken auf. Als sie schon glaubte, verrückt zu werden, zog er sich wieder zurück.
Ein blutiger Nebel verschleierte Kianys Blick und die eisige Kälte, die die Berührung des fremden Bewusstseins in ihrem Geist zurückgelassen hatte, war kaum zu ertragen. Sie spürte, wie die sanften Wogen einer nahen Ohnmacht sie davontrugen, und kämpfte dagegen an. Sie musste wach bleiben. Während sie scharf durch die Nase ausatmete, kämpfte sie sich durch den blutigen Nebel. Sie würde ...
»Tapferes Mädchen«, hörte sie den Magier über das Rauschen des Blutes in den Ohren hinweg sagen. Dann waren die Hände von ihrem Hals und ihrer Stirn verschwunden und sie spürte, dass er sich erhob. »Lass sie los!« Plötzlich war auch die Hand fort, die sich in ihre Haare gekrallt hatte, und sie sackte zusammen wie eine Puppe, deren Fäden durchtrennt
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