Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
auf unsere Hütte frei. Erschüttert blieb ich stehen. Nicht viel mehr als ein Haufen Schutt war von ihr geblieben, über den sich die Flammen gierig hermachten.
Zwei Körper lagen vor der Hütte im Schnee. Das blaue Gewand gehörte Ichiro, dahinter sah ich den grauen Kittel meiner Mutter. Neben ihr lag die Naginata im Schnee, die Klinge war dunkelrot.
Wo waren meine Schwestern und mein Vater? Hatten sie sich in Sicherheit bringen können? Waren sie gefangen genommen worden?
Etwas, vielleicht die spöttische Stimme des Todes, flüsterte mir ins Ohr, dass sie unter den brennenden Trümmern begraben worden waren. Ich stieß einen Laut aus, der ein Schrei hätte sein sollen, sich aber eher wie das erstickte Stöhnen eines verwundeten Tiers anhörte.
Entsetzt lief ich los, zuerst zu meinem kleinen Bruder. Während der Schnee meine Füße betäubte und mir sogar eine meiner Geta raubte, dachte ich daran, wie Mutter mir den Säugling Ichiro auf den Schoß gesetzt hatte. Wie seine kleinen Hände in mein Haar gegriffen und sich dort festgehalten hatten. Mochte er mit zunehmendem Alter frecher geworden sein, immer war er mein Kleiner und einer der Gründe, weshalb ich nicht von zu Hause weggehen wollte. Und nun …
Der Schnee unter Ichiros Körper war dunkelrot. Eine tiefe Wunde klaffte zwischen Hals und Körper, offenbar hatte er fliehen wollen, doch er war nicht weit gekommen.
Ich brachte es nicht über mich, ihn länger als einen Atemzug anzuschauen. Tränenblind und am ganzen Leib zitternd stolperte ich weiter.
Auch der Schnee unter meiner Mutter war voller Blut. Es sah aus, als seien ihr über den Schultern rote Flügel gewachsen. Ich kniete mich neben sie, drehte behutsam ihr Gesicht zur Seite. Ein dünnes, rotes Rinnsal war zwischen ihren bleichen Lippen hervorgeflossen und an ihrem Kinn festgefroren.
So kalt, wie sie sich anfühlte, war ich sicher, dass ihre Seele bereits zu den Ahnen gegangen war. Doch als sie die wenige Wärme meiner Hände spürte, öffneten sich ihre Lider flatternd. Erkennen schlich sich in den Blick ihrer nachtschwarzen Augen.
»Mein Kind … Du lebst.«
Ihre Stimme zu hören ließ mich vor Schmerz aufschluchzen. Zitternd strich ich über ihr Haar. »Mutter, was ist passiert?«
»Es waren Steuereintreiber«, flüsterte sie, während weiteres Blut über ihre Lippen drang. »Wir konnten nicht zahlen … Ich dachte, dich hätten sie auch getötet.«
»Ich war doch im Wald, ich … « In diesem Augenblick konnte ich ihr unmöglich von dem Todesgeist und seiner Prophezeiung erzählen. Sie sollte nicht mit Sorgen in das Reich der Ahnen übergehen.
Ich versuchte, das Schluchzen in meiner Brust festzuhalten, damit das Letzte, was meine Mutter hörte, nicht mein Klagen war. Sanft strich ich über ihre Schläfe, beugte mich zu ihr und küsste sie.
»Meine kleine Tom…« Den Rest meines Namens trug ihr letzter Atemzug davon. Nun gab es keinen Grund mehr, Zurückhaltung zu üben, und ich schrie meine Trauer laut heraus.
Als meine Stimme versagte, erhob ich mich und schleppte mich, taub von Schock und Trauer, zum Haus. Der kleine Funke Hoffnung, den ich noch in mir trug, erlosch, als ich durch eine Ritze im verkohlten Holz spähte. Drei weitere Körper lagen dort. Offenbar hatte mein Vater meine Mutter angewiesen, mit Ichiro zu fliehen, während er mit meinen Schwestern zurückblieb. Wenn die Götter gnädig waren, hatte er nicht mehr erfahren, dass Mutter und Ichiro ebenfalls getötet worden waren.
Weinend ließ ich mich neben den schwelenden Überresten der Hütte in den Schnee sinken. Erst viel später, als die Kälte durch mein Gewand drang und meine Tränen versiegten, richtete ich mich ein wenig auf. Meine Gedanken wirbelten wild durcheinander.
Steuereintreiber … Ein einziges Mal hatte ich diese Männer gesehen. Der Fürst schickte sie, um unsere Steuern zu holen. Es war Zufall, dass ich sie sah, denn normalerweise musste ich mich mit meinen Schwestern und Ichiro verstecken, wenn sie kamen. Meine Mutter war immer ganz bleich vor Schreck, wenn sie mich und meine Geschwister ins Versteck scheuchte.
Ich fragte mich, warum sie das nicht auch diesmal getan hatte. Warum dachte sie, dass ich getötet worden sein könnte? Ich war ja eigentlich nicht in Gefahr, denn ich befand mich im Wald.
Etwas passte da nicht zusammen. Ich versuchte nachzurechnen, in welchem Monat die Steuereintreiber bei uns waren, doch meine Kenntnisse reichten nicht aus. Auf jeden Fall war es bereits Winter gewesen.
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