Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
dass sie meinen Namen kannten. Nur – wie sollte ich ihnen entkommen mit dem schweren Eimer an der Seite? Legten sie es vielleicht darauf an, dass ich ihn fallen ließ und mit leeren Händen heimkehrte? Das konnte ich nicht tun.
Dann drang der Ruf erneut an mein Ohr, so dicht, dass ich glaubte, jemand stünde neben mir.
»Tomoe!«
Mit einem kurzen Schreckenslaut sprang ich zur Seite, worauf der Eimer meinen klammen Händen entglitt. Das wenige Holz, das ich gefunden hatte, fiel in den Schnee.
»Wo bist du?«, rief ich so laut durch den Wald, dass es von allen Seiten widerhallte. Schreckliche Angst überkam mich. Griff die Kälte jetzt auch schon meinen Verstand an? Wurde ich Opfer von Trugbildern? »Zeig dich!«, rief ich erneut und suchte dann den Boden nach einem Ast ab, den ich als Waffe gebrauchen konnte.
Wie alle Frauen in Nihon wusste auch meine Mutter mit einer Naginata umzugehen. Die Schwertlanze hatte mein Vater gefertigt, aus einem harten Stück Holz für den Griff und einer rostigen Klinge, die er neben der halb verwesten Leiche eines Kriegers gefunden hatte.
Einen Moment später bedauerte ich es sehr, dass ich diese Waffe nicht mitgenommen hatte.
Zwischen den Bäumen erschien ein dunkles Wesen. Unter den zerfetzten schwarzen Lumpen, die früher wohl einmal ein Kimono gewesen waren, konnte ich jedoch keine wirkliche Gestalt erkennen, es schien, als würde dieses Gewand in der Luft schweben.
War das ein Gaki? Das Blut gefror mir in den Adern. Gaki, Hungergeister, waren Seelen niederträchtiger Menschen, die keine Ruhe fanden. Sie streiften umher, dazu verdammt, sich von Exkrementen zu ernähren. Und von der Angst der Lebenden.
»Was willst du?«, fragte ich mit zitternder Stimme und suchte meinen Verstand verzweifelt nach einer Geschichte ab, die davon berichtete, wie man den Hungergeistern entkommen konnte. Mir fiel allerdings nur ein Ritual ein, das ich an dieser Stelle unmöglich durchführen konnte.
»Dich, Tomoe!«, antwortete die Erscheinung mit rauer Stimme und streckte eine Hand unter ihrem Gewand aus. »Das Schicksal hat dich auserwählt.«
Ich wich zurück. Mein Herz raste wie wild, und mein Mund war auf einmal ganz trocken. Die Furcht wütete dermaßen in mir, dass ich plötzlich keine Kälte mehr verspürte. Ich hörte nur das Knacken der Äste unter mir, dann prallte mein Fuß gegen etwas und ich verlor das Gleichgewicht. Hart fiel ich über den Baumstumpf und landete mit dem Hinterteil in einem Haufen vertrockneter Kiefernnadeln.
Die Gestalt näherte sich, ohne dass ihr Gewand sich bewegte. Und bevor ich wieder auf den Beinen war, stand sie über mir.
»Hab keine Furcht, Tomoe«, sagte sie mit kratziger Stimme. »Ich bin nicht gekommen, um dein Leben zu nehmen. Ich bin gekommen, um dir etwas zu verkünden.«
»Was sollte mir ein Geist zu verkünden haben?«, fragte ich unvorsichtigerweise und schalt mich einen Moment später dafür. Mein gesamter Körper zitterte, und als ich hochzukommen versuchte, wollten mir meine Beine nicht gehorchen.
»Ich würde dir aufhelfen, wenn ich könnte, aber das würde dein Schicksal besiegeln«, sagte die Gestalt spöttisch, nachdem sie meine Bemühungen einen Atemzug lang beobachtet hatte. »Also hör mir zu.«
Jetzt fiel es mir ein. Die Gestalt vor mir war kein Gaki. Es musste einer der Diener von König Enma sein, der über die Toten Gericht hält. Wenn sich jemand aus seinem Gefolge einem Menschen zeigte, war sein Leben verwirkt, hieß es, und er musste vor das große Gericht treten.
Meine Stimme gefror und ebenso mein Blut. Wie konnte mein Leben, das erst fünfzehn Jahre zählte, schon vorbei sein?
Erschien mir der Geist, weil ich hier in der Kälte umherwatete? Weil mein Blut kurz davor stand, zu Eis zu erstarren? Und was wollte er mir verkünden?
»Nichts ist so, wie es scheint, Tomoe«, dröhnte die Stimme nun etwas tiefer über mich hinweg. Oder war sie nur in meinem Kopf? Ich wusste es nicht zu unterscheiden. »Unheil wird über die Familie kommen, die dich einst empfing. Dir werden schwere Jahre bevorstehen. Aber das Schicksal hat dich auserwählt, die drei Throninsignien des Tenno zu suchen und zu finden. Allein du kannst dafür sorgen, dass der wahre Kaiser auf den Thron gelangt und das Reich endlich Frieden bekommt.«
Ich starrte die Gestalt ungläubig an. Ich sollte dafür sorgen, dass der wahre Kaiser auf den Thron gelangte? Ich, Tomoe, die Bauerntochter, die bestenfalls wusste, dass der Kaiser in Heian residierte, und die
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