Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
Göttin. Eine grimmige Göttin, die keine Gnade mit ihren Feinden hat. Eine Göttin, die selbst dazu in der Lage ist, den Tod zu bezwingen.
All das lasse ich den Bogenschützen, der eigentlich keiner ist, auf meinem Gesicht sehen, bevor ich es wieder dem Schlachtfeld zuwende, dessen Gras noch unberührt wie ein junges Mädchen ist. Am Ende des Tages werden die Halme rot sein, die Luft wird verpestet sein, die Erde entweiht.
Am Ende des Tages werden wir entweder tot sein oder eine Legende.
»Wer ist dieser Mann dort?«, fragt mein Gebieter, denn er hat bemerkt, dass ich ihm meinen Blick zugewandt habe.
»Das Schicksal«, antworte ich, dann höre ich Kampfrufe von der anderen Seite herüberhallen.
Erstes Buch
Das Kloster
1
In jenem Winter wurde ich fünfzehn und war damit alt genug, um zu heiraten. Doch zum Gram meiner Eltern gab es weit und breit niemanden, der gewillt gewesen wäre, mich zur Frau zu nehmen. Meine Familie war arm, das kleine Stückchen Land, das wir bewirtschaften durften, reichte nicht aus, dass wir genug Reis für den Winter ernten konnten. Es würde keine große Mitgift geben. Das Einzige, was ich mitbrachte, war die Kraft meiner Hände.
Ich hatte mir bis dahin noch keine Gedanken ums Heiraten gemacht.
Doch eines Nachts, als ich auf meiner Reismatte nicht einschlafen konnte, weil der Sturm eine unheilvolle Melodie sang, hörte ich meinen Vater sagen: »Wir müssen einen Mann für Tomoe finden, denn schon bald werden auch Yuki und Sumi erwachsen sein, und unser Sohn wird eine Schwiegertochter ins Haus bringen.«
Ich hörte Mutters Seufzen. So seufzte sie immer, wenn sie über etwas reden musste, das ihr nicht gefiel. »Dann solltest du vielleicht mit einer Vermittlerin sprechen, im Nachbardorf gibt es eine.«
»Warum eine Vermittlerin?«, konterte Vater. »Tomoe ist jung und gesund, sie braucht keine alte Vettel, die ihre Vorzüge preist.«
»Aber eine Vermittlerin würde einen guten Mann für sie finden«, beharrte Mutter. »Einen Mann, der mit einer kleinen Mitgift zufrieden wäre. Sie müsste nicht darauf warten, dass jemand seinen Boten zu uns schickt oder ihr ein guter Bursche über den Weg läuft, zumal sie meist nur im Haus ist und wir hier so abgeschieden leben. Außerdem gebietet es der Anstand. Wir mögen vielleicht arm sein, aber niemand soll uns nachsagen, dass wir keine Manieren haben.«
Mein Vater brummte darauf nur etwas, dann beließ er es dabei. Weder hatten wir genug Reis noch Silber, um eine Vermittlerin zu bezahlen. Und wer nahm schon ein Mädchen mit einer geringen Mitgift?
Mich ließen die Worte frösteln, und das, obwohl die Holzscheite im Feuerbecken noch immer glommen und Wärme verbreiteten. Heiraten bedeutete fortgehen. Ich wollte nicht von hier fortgehen. Mochten wir auch arm sein, ich lebte gern in unserer Hütte, und ich liebte meine Schwestern und meinen Bruder. Ich liebte es, wenn unser Kirschbaum blühte oder wenn ich im Sommer Beeren im Wald suchen konnte. Ich liebte das Geräusch des Webstuhls, auf dem Mutter Stoffe für unsere Kleider webte.
Wenn ich eine Ehefrau war, würde sich mein Leben vollkommen verändern. Und diese Veränderung wollte ich nicht. Leise wisperte ich auf meinem Lager den stillen Wunsch – und die Götter schienen ein Einsehen mit mir zu haben.
Es hieß, dass Ugisu, der Buschsänger, mit seinen ersten Rufen einen Bräutigam herbeilockte, sobald der Jahreskreis neu begann. Doch in diesem Jahr ging Mutsuki, der Monat der Zuneigung, in klirrender Kälte und heftigen Schneefällen unter. Schneestürme zerfetzten die dünnen Reispapierfenster und löschten die Feuerstellen. Selbst die vornehmen Herrschaften in Heian hatten Gerüchten zufolge Mühe, Wärme in ihre Häuser zu bringen.
So saß ich weiterhin mit meinen Geschwistern in der Hütte, half bei der Arbeit und versuchte, der Kälte zu trotzen, indem ich meinen Geist weit über das Land und in der Zeit voranreisen ließ, zur Zeit der Kirschblüte, wo alles hell und warm war und schneeweiße Blütenblätter auf die Erde rieselten.
Eines Tages, kurz nachdem uns die Götter neuen Schnee gesandt hatten, schickte mich meine Mutter in den Wald, um Holz für das Feuer zu sammeln, das niederzubrennen drohte.
»Du bist von allen die Älteste und Gescheiteste«, sagte sie, während sie mir den Holzeimer in die Hand drückte, den mein Vater grob zusammengezimmert hatte. »Du wirst das beste Holz finden.«
Den ganzen Morgen lang hatten meine Schwestern und ich schon die Flocken
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