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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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kennenlernten, ein desto größeres Fragezeichen war er« – so drückte es später einer seiner Leute aus.
    Und keine Bemerkung könnte zutreffender sein. Manny Lopez war das personifizierte Fragezeichen. Schon mit fünfundzwanzig hatte sich sein Haaransatz ziemlich hoch auf seinen kleinen Kopf zurückgezogen. Er hatte leichte Schlitzaugen, eine eher nahöstliche als mexikanische Nase, pockennarbige Wangen und ein wegen seiner lückenhaften Zähne recht unangenehmes Grinsen. Er sah einem Teppichhändler im Bazar von Izmir erstaunlich ähnlich, und es gab wahrscheinlich auf der ganzen Welt keinen echten Teppichhändler, der mit seiner großen Klappe konkurrieren konnte. Aber was man eben niemals vergaß, wenn von Manny Lopez die Rede war, war das Fragezeichen. Wenn er in irgendeiner Weise erregt war, hob sich seine rechte Augenbraue, was an sich schon erstaunlich kämpferisch aussah, und kroch immer, immer, immer höher die Stirn hinauf, bis sie, fast schon auf dem Schädel, ein perfektes Fragezeichen bildete.
    Manche der Männer waren in diesen ersten Monaten amüsiert, konsterniert, ja erschrocken, wenn sie sahen, wie die rechte Augenbraue langsam hoch kroch und immer höher stieg, bis sie am Ende das perfekte Fragezeichen bildete. Und das war in der Tat das unverwechselbare Kennzeichen von Manny Lopez. Ein Fragezeichen. Manny, der mit riesengroßen Augen in die Gegend glotzte und dessen Augenbraue gekräuselt und geschnörkelt war und wie angeklebt wirkte.
    »Mit Manny Lopez hatte ich in der ersten Zeit meine Probleme«, sagte Dick Snider. »Er stand andauernd unter Dampf und war überehrgeizig. Er wollte wohl eine Art von Geheimpolizist sein. Die Dinge, um die es mir ging, schienen ihn kaum zu beeindrucken. Aber er war trotzdem meine erste Wahl, vom Anfang bis zum Ende. Und das sicherlich nicht nur, weil er der einzige mexikanische Sergeant war, der besessen und verrückt genug war, die Karre flottmachen zu können. Er war der klassische Spieß.«
    Die Mitglieder der Task Force nannten Dick Snider »Lieutenant«, wenn sie ihn direkt ansprachen. Wenn sie jedoch untereinander oder mit anderen über ihn redeten, hieß er immer nur »Burl the Pearl«, »Burl die Perle«.
    »Dick Snider ist eine Perle«, pflegte Manny Lopez zu sagen. »Ich habe schon für ihn gearbeitet, als er Sergeant und ich ein blutiger Anfänger war. Der Kerl wollte nie was anderes als Außendienst machen. Aber bei einem Polizisten kann so was ein fataler Fehler sein.«
    Im Verlauf seiner bisherigen Laufbahn war Manny Lopez zum Vorsitzenden der San Diego Latino Police Organization gewählt worden, aus der Sicht des Police Departments kein bedeutender Karriereschritt. Innerhalb einer Truppe von 1365 Männern und Frauen, am äußersten Rand eines völlig von Latinos überfluteten Gebiets, das sich von Baja California bis Tierra del Fuego erstreckte, waren nicht einmal fünf Prozent aller Beamten des Police Departments Amerikaner mexikanischer Herkunft. Es gab ganze vier Sergeants. Es gab weder einen Lieutenant noch einen Captain, und es gab zwar einen einzigen Inspector, aber keinen Deputy Chief. Es war schier unglaublich, aber es gab nur einen aus Mexiko stammenden Beamten bei der Mordkommission, und im Einbruchs- und Raubdezernat wiederum fand sich gar keiner.
    Die Großstadt San Diego ist häufig genug beschuldigt worden, sich in einem Umfeld sozialen Fortschritts eine Dorfmentalität bewahrt zu haben, so sauber verpackt, wie es bloß in einer so entlegenen Ecke Amerikas möglich ist. Und ein Police Department spiegelt immer den Geist seiner Kommune wider. Die mexikanisch-amerikanischen Cops verstanden sich selbst so gut wie nie als »Latinos« oder »Hispanier«. Sie nannten die Mehrzahl ihrer Kollegen »Weiße«, und sie nannten sich selbst »Mexikaner«. Und selbst das wurde ihnen von den Leuten streitig gemacht, die südlich der imaginären Linie wohnten und glaubten, daß sie eben doch ganz anders waren als die weiter nördlich wohnenden »Kokosnüsse«, die äußerlich braun waren, aber innerlich weiß.
    Sprachwissenschaftler behaupten, daß es in der Gegend kaum Leute gibt, die wirklich zweisprachig sind – das heißt, Ausländer, die einen dort Geborenen zu täuschen vermögen, indem sie ihm ohne Akzent in seiner Muttersprache antworten können. Manny Lopez war jemand, der das konnte. Und er war ein Sprücheklopfer in beiden Sprachen. Er war auch Vorsitzender der San Diego Police Officers Association, der erste aus Mexiko stammende

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