Die San-Diego-Mission
damit hatte er recht. Carlos behauptete, daß von dem Experiment letztlich alle »profitiert« hätten, und damit hatte er vielleicht nicht so ganz recht. Er hatte immer noch Augen, die im Verlauf einer normalen Unterhaltung zugleich oder nacheinander fröhlich, kummervoll, wütend und ängstlich wirken konnten. Carlos Chacon hatte immer noch Träume voller Gewalt.
Der einzige, der außerdem sagte, er würde wieder in die Canyons zurückgehen, war Chefrevolverheld Manny Lopez selbst. Bevor er wieder normal Dienst machte, widerfuhr ihm noch etwas sehr Erfreuliches. Er wurde vom Magazin Parade und der International Association of Chiefs of Police zum Polizeibeamten des Jahres gewählt. Zur Entgegennahme dieser Auszeichnung wurde er nach New York zitiert und flog mit seinem Boß William Kolender in derselben Maschine.
Die Amerikaner sind launisch, was ihre Mythen und Legenden betrifft, und als über diese sagenhaften Revolverhelden keine Storys mehr erschienen, gerieten Mannys Heldentaten erstaunlich schnell in Vergessenheit. Die anderen Cops sagten, Manny wünsche sich im Grunde nicht sehr viel im Leben und begnüge sich damit, freitags die Börsenberichte zu lesen.
Jimmy Carter trat ab, Ronald Reagan kam. Und mit Mexiko ging es bergab. Die Leute konnten sich an die Namen jener letzten Revolverhelden kaum noch erinnern, und sogar seinen ehemaligen Barfern kamen gelinde Zweifel, ob Manny eines Tages tatsächlich Bürgermeister oder Polizeichef werden würde. Genaugenommen war in Anbetracht der vielen Feinde, die Manny Lopez sich in den Monaten, in denen er als Sergeant so mächtig gewesen war, gerade unter den hohen Tieren des Departments gemacht hatte, niemand sonderlich überrascht, als sein Name in der Liste der anstehenden Beförderungen nicht sehr weit oben zu finden war.
Manny spürte, wie sein Leben leer wurde. Er fühlte sich so unsicher wie ein Skorpion in einem Glas. Er dachte, daß vielleicht Geldverdienen helfen könne. Manny Lopez war der dritte, der dem Department den Rücken kehrte. Er wurde Unternehmer. Er kaufte und verkaufte Fett.
Manny baute sich einen kleinen Handel auf, indem er Fettabfälle aus den umliegenden Restaurants aufkaufte, die dann aufbereitet und unter das normale Viehfutter gemischt wurden. Wenn man die tierischen Fette zusammen mit Melasse unter das Futter rührte, konnte man davon ausgehen, daß selbst die mageren mexikanischen Kühe fetter wurden. Es stellte sich aber heraus, daß viel zu viele Fetthändler um die McDonald's und Jack-in-the-Box-Läden herumlungerten, und deshalb hatte Manny die Idee, das Zeug im Süden der Grenze, in Tecate, einzusammeln und aufzubereiten.
Es gab dort unten jedoch kein einziges Kentucky-Fried- und Burger-King-Geschäft, und unter anderem deshalb konnte Manny sein Fett gar nicht erst kriegen. Überschüssiges Fett wird in Mexiko entweder so lange aufbereitet, bis nichts mehr vorhanden ist. Oder es wird noch an die Leute verkauft. So war Manny bloß zwei Jahre im Geschäft. Dann war Manny ein bankrotter Fetthändler.
Manny Lopez sah zwar ein, daß sein eigentliches Talent im Grunde doch wohl darin bestand, dem Gesetz zu seinem Recht zu verhelfen, glaubte aber, der Rückweg sei ihm ein für allemal verbaut. Sein Stolz und sein gesamtes Ego standen dem im Weg. So eröffnete er ein Büro als Privatdetektiv und war sich eigentlich sicher, als ehemaliger legendärer Revolverheld rasch eine Menge Geld zu verdienen. Die Erkenntnis, wie schnell die Menschen ihre Mythen und Legenden vergessen, war für ihn dann ein regelrechter Schock.
Schließlich nahm Manny Lopez äußerst diskret Verbindung zu seinem alten Freund und Mentor auf, dem Chief of Police William Kolender. Der Chief schätzte und bewunderte Manny nach wie vor sehr, aber aufgrund der Dienstvorschriften konnte er nicht einfach wieder als Sergeant anfangen. Er würde auf jeden Fall erst als einfacher Streifenpolizist Dienst tun müssen. Und das war natürlich unvorstellbar für einen Mann, der eine Legende gewesen war.
Chief Kolender sagte über das BARF-Experiment: »Es hat die Karriere von Manny ruiniert.«
Und damit war dann auch das gelaufen. Ein derart vigilanter Mensch wie der Chief hatte, im Gegensatz zu Manny selbst, gleich begriffen, daß das Leben für einen Ex-Revolverhelden kein Kinderspiel ist und Manny auf gar keinen Fall wieder unten anfangen konnte.
Dabei war Manny vielleicht einfach ein junger Mann mit eigentlich erstaunlich viel Verstand, Mut und Geschick, der in einem
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