Die San-Diego-Mission
allen. Jeder war insgeheim davon überzeugt, daß er in dieser endgültig letzten Nacht ermordet werden würde. Trotzdem jedoch marschierten sie durch die Canyons und standen es schweißgebadet durch bis zum Ende. Absolut gar nichts passierte. Es war die friedlichste Nacht dieses ganzen Jahres.
Manny Lopez hatte oft gesagt, er wünsche sich, daß es niemals aufhöre. Daß er erst durch das BARF-Experiment erfahren habe, wer er wirklich war. Jetzt jedoch hatten sich die Dinge geändert.
Vielleicht war das Experiment keinen Moment zu früh zu Ende gegangen. Vielleicht wär's ihnen sogar noch schlechter ergangen, wenn sie das Experiment unter einem Leiter fortzusetzen versucht hätten, der möglicherweise normal geworden war.
21. KAPITEL
Stiefkinder
D er Chief of Police wollte die Barfer belohnen, indem er eine Art von zivilem Sonderkommando ins Leben rief. In den folgenden Monaten, in denen sie ganz gewöhnlichen und normalen Polizeidienst machten, mußten sie sich jedoch ganz schön anpassen. Eine allgemeine Unzufriedenheit war die Folge. Der eine oder andere wurde mit seiner Enttäuschung offenbar überhaupt nicht fertig und kriegte Depressionen, weil er nicht wußte, wie's weitergehen würde.
In gewisser Weise fühlten sie sich im Stich gelassen. Sie waren Teil eines großen Experiments gewesen. Eine Gruppe von Minoritäten-Cops hatte der weißen Majorität gezeigt, was sie zu leisten imstande war. Im nachhinein jedoch hatten die Leute an ihrer Arbeit eine Menge zu kritisieren. Bis sie am Ende noch selber unsicher wurden, was und wieviel sie denn nun geleistet hatten. Es wurde davon geredet, die Beziehungen zwischen den Polizeibehörden hüben und drüben könnten nie wieder repariert werden.
Als BARF aufgelöst wurde, erklärten Vertreter der amerikanischen Regierung, künftig werde man in verstärktem Maße Bundesbeamte an der Grenze einsetzen. Eine solche Maßnahme wurde dagegen nie verwirklicht. Und so sicher sie im übrigen zu Beginn des Experiments geglaubt hatten, das Department werde so angetan von ihnen sein, daß Minoritäten-Cops in naher Zukunft auch bei der Kriminalpolizei entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung beschäftigt werden würden, so enttäuschend war es jetzt, daß von einer solchen proportionalen Repräsentation nach wie vor nur geredet wurde.
Selbst die gut gemeinten Absichten des Polizeichefs in bezug auf die Gründung dieser Spezialtruppe schien den Barfern, die eigentlich damit gerechnet hatten, sich Jobs ihrer Wahl aussuchen zu dürfen, eher eine weitere Maßnahme zu ihrer Absonderung zu sein.
Mehr als einer von ihnen sagte: »Wir kamen uns vor wie die Stiefkinder.«
Eine ganze Anzahl der alten Freunde, die mit ihnen gemeinsam angefangen hatten, würden außerdem nie mehr Freunde sein. Und das ärgerte sie gewaltig und erfüllte sie mit noch größerer Enttäuschung.
Zum Schluß entfernten sich die Barfer immer mehr und immer weiter vom Police Department. Joe Castillo, dessen ständig in Bewegung befindliche Finger immer noch nicht richtig funktionierten, ging zum Marshal's Office von San Diego. Er ließ das Police Department im Stich und nahm statt dessen einen Job an, in dem er bloß Vorladungen überbringen und Gerichtssäle bewachen und sich dafür gefallen lassen mußte, daß er sich zu Tode langweilte und von seinen guten alten Zeiten als Revolverheld nur noch reden konnte.
Eines Tages sah BARF-Rechtsanwalt Ray Wood auf dem Weg zum Gericht verblüfft, wie ein Bürger von einem Marshal brutal in den Schwitzkasten genommen wurde. Der Marshal war Joe Castillo. Einige BARF-Angewohnheiten waren offenbar nur schwer totzukriegen. Und eine weitere Weile später verließ Joe Castillo das Marshal's Office und ging zum Sheriffs Department. Sogar dort aber litt er unter seiner Ruhelosigkeit. 1983 verließ er seine Frau und reichte die Scheidung ein.
Renee Camacho machte seine schlimmste Zeit durch. Er sah, wie sein Vater an einem Dickdarmkrebs zugrunde ging, der sich bis zum Knochen durchfraß. Der Junge mit der hellen Stimme war am Boden zerstört. Vermutlich hatten bloß sehr wenige junge Männer ein so enges Verhältnis zu ihrem Vater, und Renee stellte fest, daß er sich für überhaupt nichts mehr interessierte, am wenigsten für seinen Job im Referat für Kindesmißhandlungen, wo er ständig mit Leuten zu tun hatte, die ihre Kinder schlugen, verbrannten, folterten und schändeten.
Herbert Camachos einziges Kind war nicht in der Lage, sich mit irgend jemand über
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