Die San-Diego-Mission
ungewöhnlichen Moment gerade noch zu sich selbst gefunden hatte – ein Mann, der jener großen Hure Berühmtheit, der Verlockung, ein Mythos zu sein, und damit der verführerischen Vorstellung von Auserwähltsein und Unbesiegbarkeit fast schon rettungslos verfallen gewesen war. Aber dann jener unglaubliche Moment, in dem in der Dunkelheit eines Canyons die Sterblichkeit von ihm abzufallen schien wie zerfetzte Grenzgängerlumpen, ein Augenblick voller Angst, den er aber am liebsten für immer festgehalten hätte.
In seinem Haus gibt es eine ganze Wand, die hinter seinen Bildern, Dokumenten, Plakaten und Auszeichnungen beinahe verschwindet. Und aus allem spricht das Wissen darum, daß es ein für allemal vorbei ist.
Mannys alte Feinde – und er hatte sich viele gemacht, auf beiden Seiten der Grenze – hatten bei der Vorstellung, daß er Fett verhökerte, bestimmt ihr klammheimliches Vergnügen. Das darf ja nicht wahr sein – Manny! Der letzte Revolverheld? Ein bankrotter Fetthausierer? Manny setzt doch noch zur Landung an. Zur Bruchlandung.
Manny Lopez war jedoch immer noch Manny Lopez. Fünf Jahre nach dem Ende des Experiments traf er zufällig einen seiner ehemaligen Barfer, der mit seinem früheren Boß einige Drinks nahm und den bankrotten Fetthändler nach etlichen Tequilas zuviel mit zu sich nach Hause nahm, wo er ihm offenbar demonstrieren wollte, daß er mittlerweile auch kein heuriger Hase mehr war.
Die Frau dieses Ex-Barfers hatte wie eine ganze Reihe von BARF-Frauen sicherlich ebensoviel Angst vor Manny gehabt wie ihr Mann. Aber bitte, vor einem bankrottgegangenen Fetthausierer hat niemand Angst, und so meinte sein früherer Untergebener, jetzt vielleicht doch mal den großen Maxe herauskehren zu können.
Er sagte: »Übrigens, was ich eigentlich immer schon wissen wollte. Meine Frau hat mir erzählt, daß du ihr auf einer von unseren BARF-Partys massiv an die Wäsche gehen wolltest. Sie hat's mir lange nicht erzählt. Ich will's aber dann doch mal wissen, Manny!«
Und was hätte ein bankrotter Fetthausierer nun darauf antworten können? Um Gottes willen, das ist eine Lüge! Oder: Ich bin völlig schockiert! Oder: Laß das, was vergangen ist, vergangen bleiben!
Manny Lopez, der so manchen Schlag ausgeteilt und so manchen Schuß abgefeuert hatte, wenn er buchstäblich schon auf der Erde lag, sah seinen ehemaligen Untergebenen bloß mit einem Anflug von Melancholie an und sagte: »Ich wollte nie, daß du das erfährst. Deine Frau hat mal einem von diesen Mädchen erzählt, sie wär viel mehr an mir interessiert als an ihrem Ehering. Ich hab dann aber nicht mal mit ihr geredet, als mir das gesteckt wurde, und ich muß annehmen, daß sie die Zurückweisung nie ertragen konnte. Ich wollte wirklich nie, daß du das erfährst, mi hijo.«
Und dabei legte Manny traurig seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes, gab ihm einen tröstenden Klaps und ging am Ende leise davon.
»Ich würd dich in diese Canyons pusten, wenn ich die Chance hätte!« schrie der Cop, nachdem er seine Fassung wiedergewonnen hatte.
Aber Manny war gegangen. Hatte ihn mit der Kneipenrechnung sitzenlassen. Und Mannys ehemaliger Untergebener war um die bittere Erfahrung reicher, daß ein Skorpion in einem Glas immer noch ein Skorpion ist.
Jeder, der nach alledem noch ein bißchen mitmenschliches Verständnis aufbringt, sollte sich am besten an jenen Manny Lopez erinnern, dem sein Schicksal aufgezwungen wurde, als man mit Gewalt versuchte, eine Legende zu schaffen. An den, der er war, als er in der rabenschwarzen nächtlichen Finsternis in einer engen Röhre saß und plötzlich verschwand. Als er von einem bärenstarken Gangster gepackt und aus der Röhre gerissen, auf mexikanisches Territorium geschleudert und von El Loco und drei bewaffneten Mördern umzingelt wurde – in diesem Augenblick buchstäblich schon ein Mordopfer. Und als er dann letztlich, nachdem seine Augenbraue hochgekrochen war und ein perfektes »Sabes-que?« Fragezeichen bildete, die Gangster dort hatte, wo er sie haben wollte.
22. KAPITEL
Déjà-vu
D ie Schicksale der Outsider waren vielleicht am beunruhigendsten. Mit zunehmender Zeit schienen sie immer mehr Auffälligkeiten, Reaktionen und Gefühlsregungen zu entwickeln, die auf ihre Erlebnisse im Verlauf des BARF-Experiments zurückzuführen waren. 1982 mußten sich drei Beamte einer psychologischen Behandlung unterziehen, um gewisse seelische Probleme in den Griff zu kriegen, die entweder das
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