Die San-Diego-Mission
mich zur Welt gebracht«, sagte er. »Als mein Vater im Gefängnis war. Ich hab meinen Vater kein einziges Mal gesehen.«
Carlos Chacon war einer der drei Mitglieder der Task Force, die gut Spanisch sprachen, weil er mit Spanisch als Hauptsprache fürs Leben, für die Phantasie und für die Träume aufgewachsen war. Seine Mutter war mit ihren Kindern in die Gegend von San Diego gezogen.
»Ich habe immer gern diesen alten Witz gehört« – er grinst dabei und zeigt wolfsartige weiße Zähne –, »wo das Kind sagt: ›Das ist meine Mama, die du da verprügelst‹, und wo der Mann sagt: ›Das ist meine Frau, Kind.‹«
Seine Mutter lebte mit einem Mann namens Geronimo zusammen, der sowohl sie als auch Carlos regelmäßig verprügelte. Aber der Junge hatte vom Vater, den er nie gesehen hatte, einiges an Kraft geerbt. Carlos wurde sehr groß, und schließlich fand Geronimo seinen Meister. Er war derjenige, der von Carlos verprügelt wurde.
Als Carlos an jenem Abend mit dem guten Gefühl schlafen ging, einen Mann besiegt zu haben, vor dem er immer Angst gehabt hatte, träumte er von Gewalt. Mitten in der Nacht wachte er auf und wußte nicht, ob er immer noch träumte. Geronimos Gesicht grinste ihn an. Schräg von der Seite. Plötzlich winkte Geronimo dem Jungen, er solle mal herkommen. Geronimo hatte eine Machete in der Hand. Carlos sprang schreiend aus dem Bett und schnappte sich die Eisenstange, die er seit einiger Zeit zu seinem Schutz neben dem Bett liegen hatte. Geronimo war ein Schläger, aber auch ein Feigling. Er ging fluchend stiften, mitsamt der Machete.
Gott sei Dank verschwand Geronimo irgendwann aus ihrem Leben, und die Kinder kamen ein bißchen zur Ruhe, zumindest so lange, bis er eines Tages wieder auf der Bildfläche erschien. Er wollte wieder damit anfangen, womit er aufgehört hatte, nämlich mit dem Verprügeln der Mutter. Aber mittlerweile war Carlos in der zehnten Klasse.
»Dieses eine Mal hab ich ihn schauerlich vertrimmt«, erinnerte sich Carlos. »Ich war da schon so groß, daß ich auf ihn runtergucken konnte. Es ist in dem Zimmer passiert, wo meine Mutter sonst immer schrie.«
Sie wohnten in Otai, in der Nähe von Chula Vista. Die Gegend litt ziemlich unter dem Terror von Gangsterbanden. Die Leute mißtrauten der Polizei, aber Carlos dachte da ganz anders. »Die Polizei kam und ergriff meine Partei. Ich hab ihn schauerlich vertrimmt.«
Die Augen von Carlos Chacon konnte man nicht so schnell vergessen. Er hatte starke, ausdrucksvolle Brauen, eine niedrige Stirn und welliges schwarzes Haar mit Mittelscheitel. Er redete mit den Händen, eine mexikanische Angewohnheit. Aber die Augen, wahrhaftig, die schimmerten so feucht, als würden sie ständig zerfließen. Solche Augen hatte allenfalls Valentino in seiner Rolle als Sohn des Scheichs gehabt, Augen, deren Ausdruck ebenso bestürzt wie rasend sein konnte, je nachdem, wie weit er dabei seine wolfsartigen, sehr weißen Zähne entblößte.
»Meine Mutter ist die beste Büglerin der Welt«, prahlte er gern, als er Polizeianwärter in Chula Vista wurde.
Sie hielt die Uniform ihres Sohnes genausogut in Schuß, wie sie in Brownsville, Texas, vor vielen Jahren die Uniformen der amerikanischen GIs in Schuß gehalten hatte. Er hatte die schärfsten Bügelfalten sämtlicher Cops in San Diego, den regulären wie den Anwärtern. Außerdem hatte er einen Colt Python, eine 375er Magnum.
Er war seinerzeit zwanzig, und wie alle anderen Polizeianwärter wollte er beim Pistolenschießen der Beste sein. Reine Ziel- und Anschlagsübungen waren nicht annähernd so wichtig wie das Abfeuern von hundert Schuß auf dem Schießstand, sagte man ihm. Aber wer kann sich hundert Schuß mit scharfer Munition leisten? Bei den Ziel- und Anschlagsübungen konzentrierte man sich einfach auf einen Fleck an der Wand, der so klein war, daß man sich ihn als Zentrum der Schießscheibe in fünfundzwanzig Meter Entfernung vorstellen konnte. Auf die Weise trainiert man Auge, Gehirn und Hand und lernt ein langsames und ruhiges anstelle eines ungewollten ruckartigen Durchziehens, und das ist wichtig, weil's beim richtigen Schießen immer darauf ankommt, den Rückstoß beim Abfeuern der Handfeuerwaffe auszugleichen.
Carlos hatte in jener Zeit einen sehr guten Freund. Dieser Freund hieß Michael Clarence Jackson. Die beiden waren zusammen auf die High School gegangen, und selten machte einer was ohne den anderen. Michael war schwarz, aber Carlos Chacon und er hatten eine Menge
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