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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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Vogel, der Spaß verstand und seine Retourkutsche wie kaum ein zweiter zu fahren verstand. In jener Nacht allerdings, in der sie darauf warteten, daß sich der Vorhang der Dunkelheit über den Deadman's Canyon senkte, hockte er mit einigen Pollos vor einem Lagerfeuer, und es war ihm trauriger als je zuvor zumute. Wegen ihrer Schauspielerei. Wegen seiner Schauspielerei. Wegen dieses ganzen Dramas oder Melodrams, das sich allabendlich in diesen Canyons abspielte und längst zu einer Art Ritual geworden war.
    Er überlegte, ob seine Stimmung von der Jahreszeit kommen konnte. Der Frühling hatte die Wüstenblumen aufblühen lassen, weiße und purpurne, rot wie der Sonnenuntergang, erstaunlich zart in den rauhen Canyons, und im silbrigen Licht der anbrechenden Dämmerung schienen die Farben zu flackern. Halb verhungerte Hunde mit räudigem Fell kreisten scheu um die Lagerfeuer. Die Erde war übersät mit weggeworfenen Nahrungsresten und hatte die Tiere, denen der Sabber vor Gier aus den Lefzen rann, angelockt.
    »Eines werde ich nie vergessen«, sagte Renee Camacho. »Wie uns dieser junge Mann in meinem Alter erzählte, was mit denen hier eigentlich los war.«
    »Ich liebe meinen kleinen pueblo«, hatte jener Grenzgänger zu Renee Camacho gesagt. »Ich liebe unser Land, aber die Kinder müssen ein Zuhause haben.«
    Eddie Cervantes war normalerweise eine Quasseltasche, und er stellte ununterbrochen Fragen. Weil er mit dem Peso-Wechselkurs auf Kriegsfuß stand, fragte er einen Grenzgänger, was er sich für seinen wöchentlichen Verdienst in seinem pueblo im einzelnen kaufen könne.
    Die Antwort: gerade genug Tortillas und Bohnen, damit die Kinder gesund blieben. Nur in sehr guten Wochen gab es dazu noch ein mageres Hühnchen.
    Renee Camacho war zu Tränen gerührt und außerdem ziemlich verwirrt. Es schien alles so hoffnungslos zu sein. Fast automatisch fragte er sich: was wäre gewesen, wenn sein Großvater mit dem Nonsens um Pancho Villa nicht ein für allemal Schluß gemacht hätte und nach Norden gegangen wäre? Er schaute sich auf dem Fußballfeld um und sah die Frauen mit ihren Babys. Er sah die älteren Frauen und Männer, die den Verlockungen Amerikas nicht widerstehen konnten. Sah den Mann, der neben ihm stand, an und schämte sich. Der Mann wirkte zerbrechlich und hatte dünnes Haar, das seit Ewigkeiten nicht geschnitten war. Er stank ebenso schlimm wie alle anderen. Niemand hatte einen Koffer bei sich. Sie schleppten höchstens ein Bündel mit sich herum. Renee gewann aus den Gesprächen mit diesen Leuten zwei äußerst beunruhigende Erkenntnisse: erstens, sie waren in allererster Linie die Tapfersten aller Armen von Mexiko. Zweitens, nur sehr wenige dieser Leute wollten im Norden bleiben. Sie träumten davon, genug Geld zu verdienen und dann in ihre Heimat zurückzukehren.
    Einige besaßen zwei oder drei Dollar und keinen einzigen Cent mehr. Einige hatten ein paar hundert. Renee Camacho hatte schon häufig gesagt, daß er nie einen bösen Menschen unter ihnen angetroffen habe, und er fragte sich jetzt, wie es möglich sein konnte, solche Leute zu mißhandeln?
    Nachdem er Grenzgänger kennengelernt hatte, die ausgeraubt oder niedergestochen oder vergewaltigt und gequält worden waren, begann er zu fühlen, was sie fühlten. Und in dieser Hinsicht war er nicht der einzige. Mehr und mehr ging's wohl allen so, daß sie die Armut und Angst fühlten. Man kriegte dabei seltsame Magenschmerzen, stellten sie fest. Man fing mit einemmal an zu stöhnen. Am Ende wurde man wütend, ohne daß der Zorn eine bestimmte Zielrichtung hatte. Und dabei kriegte man noch seltsamere Magenschmerzen. Renee Camacho beispielsweise wurde bald anderen Sinnes, was die Behandlung von Gangstern betraf.
    Selbst als Gruppe erlebten sie im Laufe der Zeit sonderbare Dinge. Jedesmal, wenn beispielsweise der Hubschrauber der Border Patrol besonders niedrig über einer Gruppe von Grenzgängern kreiste, wurden auch die Barfer von Panik gepackt und gingen stiften.
    »Was soll das denn?« schrie Manny Lopez eines Abends, als sie wieder mal auseinanderstoben wie die Grenzgänger. »Warum rennen wir denn hier weg?« fragte er verwirrt. »Wir sind bis an die Zähne bewaffnet, verdammt noch mal. Wir tun hier doch nur unsere Pflicht. Wir sind die Guten. Warum rennen wir dann hier weg?«
    Natürlich fanden sie eine Antwort, ohne erst Lee Strasberg oder die Schauspielergewerkschaft bemühen zu müssen. Auch für einen Schauspieler ist es immer schwer, aus

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