Die San-Diego-Mission
Warum kommt ihr nicht über den Zaun, damit wir alles besprechen?«
»No, Señor«, sagte Manny. »Wir haben Angst, wieder zurückzuklettern. Warum kommt ihr nicht hierher, wenn wir über unsere Reisepläne reden wollen?«
Loco rauchte und schien zu lächeln, obgleich es sich nicht ganz genau erkennen ließ. Schließlich gab er eine Rauchwolke von sich, schüttelte den Kopf und sagte: »Geht mal ruhig weiter, ihr Pollos. Ich glaube nicht, daß ich euch heute abend helfen kann.«
Binnen weniger Sekunden war er auf der mexikanischen Seite in der Dunkelheit verschwunden. Und als die anderen Manny mal genau anschauten, sahen sie, daß die rechte Braue verschwunden war. »Den Gangster muß ich kriegen!« sagte Manny. »Dieser Dreckskerl gehört mir.«
Zunächst schlug einer vor, doch mal eher Feierabend zu machen und sich das eine oder andere Bier hinter die Binde zu gießen, und sie boten Manny sogar an, zusammenzulegen und ihm eine Flasche Chivas Regal auszugeben; er jedoch scheuchte sie in die Röhre und meinte, sie könnten durchaus mal wieder ein Gangsterschnäppchen gebrauchen. Und da half es gar nicht, daß sie ihn ziemlich anmeckerten.
Die »Röhre«, genau gesagt ein Tunnel, war einer der Abwasserkanäle, die unterirdisch und unter dem Zaun von der amerikanischen Seite zur mexikanischen liefen. Und wenngleich die Barfer auch sicher keine besondere Antenne für Symbolik hatten, war die Röhre selbst in ihren Augen ein geradezu klassisches Sinnbild für das internationale Dilemma. Mexiko und die Vereinigten Staaten lagen buchstäblich Arsch an Arsch zusammen, und die ganze erbärmliche Grenzgängerscheiße floß normalerweise durch die Röhre in die Vereinigten Staaten, aber hin und wieder, wenn in den Vereinigten Staaten die Diarrhöe ausgebrochen war, floß die ganze erbärmliche Grenzgängerscheiße auch in entgegengesetzter Richtung zurück. Und weil die Gangster im allgemeinen wußten, wie in den beiden Staaten gerade geschissen wurde, konnten sie sich ganz auf die mexikanischen und die US-Arschlöcher einstellen, wenn es darum ging, Perlen in der Scheiße zu finden.
So etwa beschrieben sie die Situation an diesem Abend, an dem, wie sie sagten, der arme alte Fred Gil, der älteste Barfer, diese Röhre auszuwischen versuchte. Er führte ihr erstes Team, spielte die Rolle eines Grenzführers, ging immer einige Schritte voraus und klickte häufig Steine gegeneinander oder schnalzte mit den Fingern. Plötzlich sah er, als er sich umschaute, fünf statt der drei Schatten hinter sich! Zwei echte Pollos, die sich in der Gruppe anscheinend sicherer fühlten, hatten sich ihm angeschlossen.
Just in diesem Augenblick wurden sie von einem Hubschrauber der Border Patrol entdeckt, der sofort tiefer ging, und natürlich hatten sich die Barfer wieder mal so mit ihrer Rolle identifiziert, daß sie ebenso wie die beiden echten Pollos schnurstracks auf die Röhre zuliefen. Fred Gil war als erster drin. Die Röhre war buchstäblich voll von menschlichen Exkrementen. Fred Gil hatte sowieso einen schwachen Magen. Er fing an zu würgen. Die anderen Pollos, die echten wie die nachgemachten, drängten sich hinter ihm drein. Fred Gil schlingerte und schlitterte der Länge nach in die Exkremente und brüllte auf spanisch und englisch durcheinander. Sogar Fred Gils Augen brannten wie Feuer!
Nachdem sich alle reingedrängt hatten, hörten sie, wie der immer noch über ihnen herumknatternde Hubschrauber über Lautsprecher einen Jeep der Border Patrol benachrichtigte, worauf wenig später einige Scheinwerfer in die Röhre leuchteten, bis die Pollos nacheinander herauskamen und von den Jeeps eingekreist wurden.
Bevor er gewarnt werden konnte, kam ein Beamter der Border Patrol angerannt, packte Fred Gil und sagte: »O Scheiße!« Er war wirklich von oben bis unten voll.
Während die echten Pollos und der Beamte der Border Patrol Fred Gil entsetzt anstarrten, wurden die anderen Barfer immer hysterischer. Diese ausgekochten, wurmfressenden Kerle machten sich tatsächlich gegenseitig an und brüllten sich an und johlten. Sie rannten fast fünf Minuten lang wie aufgescheuchte Hühner herum, bloß weil der arme alte Fred versucht hatte, die Röhre auszuwischen.
Später am Abend sollte Fred Gil auf der Southern Substation eine Anzeige aufnehmen, die von einer älteren Mexikanerin erstattet wurde. Sobald sie roch, wie schlimm er stank, erklärte sie, sie komme morgen wieder, und rannte aus der Tür. Fred Gil bekam auf der nächsten
Weitere Kostenlose Bücher