Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
Vom Netzwerk:
unzähligen Auseinandersetzungen den Tod des Betreffenden zur Folge gehabt.
    Obgleich es seit einiger Zeit nicht mehr ganz so gefährlich ist, die Worte puto oder maricon zu gebrauchen, fällt es vielen Männern selbst heute noch nicht sehr leicht, sich als »pussy« beschimpfen zu lassen – es sei denn, man verbände damit eine echte Herausforderung an den Mut oder die Männlichkeit des Betreffenden. Sie bezeichneten sich gegenseitig dauernd als »faggot«, als ein perverses Arschloch oder wie immer man es nennen mag. Aber »pussy«? Wenn Manny Lopez zu Joe Castillo »pussy« sagte und dabei auch noch den »richtigen« Ton fand, riskierte es Joe Castillo auf der Stelle, sich bei einem Sprung über die nächste Parkuhr die Eier zu zerquetschen. Entsprechend reagierte Eddie Cervantes, indem er wollige Würmer aß. Wann immer es in den Canyons gefährlich wurde, konnte Manny seine Gangsterknacker durch einen Appell an ihren machismo zu fast allem kriegen. Und seit es in den Medien derart breitgetreten worden war, daß er als bisher einziger von ihnen einen Menschen niedergeschossen hatte, hegten sie in ihren ehrgeizigen Herzen zutiefst mehr als nur ein bißchen Neid auf ihren Sergeant.
    Aber trotz und alledem, er konnte sie nach wie vor an der Kandare halten, sobald er ihnen sagte, sie seien eine gottverdammte Bande ausgemachter Arschlöcher. Paßt bloß auf, ihr Banditos! Hier kommt die Straßenreinigung mit der ganz großen Kehrmaschine!
    Als eines Abends sowohl das Ensemble als auch die zweite Besetzung in der Dämmerung über das obere Fußballfeld wanderten, kam den Barfern die Idee, sich mal unter die Heerscharen der Pollos zu mischen, die sich auf die nächtliche Grenzüberquerung vorbereiteten. Sie lernten an diesem Abend eine ganze Menge, nachdem sie sich zu den aufgeregten Leuten gestellt hatten und an den spärlichen Lagerfeuern den Geschichten zuhörten, in denen es vor allem um frühere Grenzübergänge ging, um Hoffnungen und Träume. Meist war in diesen Geschichten von fabelhaften Jobs und großen Einkommen die Rede, wobei sich's, wie sich durch gezielte Fragen herausstellte, um Beträge handelte, die etwa dem halben Gehalt eines Polizisten aus San Diego entsprachen. So war denn auch mal einem Gangsteropfer, nachdem sich herausgestellt hatte, daß Manny Lopez tatsächlich bei der Polizei von San Diego war, die spontane Äußerung entschlüpft: »Ich bete darum, eines Tages mal richtig reich zu sein. So wie Sie.«
    Bei den Lagerfeuergesprächen mit den anderen Pollos mußten sich die meisten Barfer aufs Zuhören beschränken, weil lediglich Manny Lopez, Eddie Cervantes, Carlos Chacon und mit Einschränkung noch Ernie Salgado so fließend Spanisch sprachen, daß sich die Leute hinters Licht führen ließen. Aber die anderen verstanden zumindest, um was es ging, und es machte sie traurig, den Pollos zuzuhören. Außerdem wurden sie dabei sehr nachdenklich, und einige Barfer ertappten sich bei dem Wunsch, den Grenzgängern doch mal gewisse Realitäten aus dem Land, in dem angeblich Milch und Honig flossen, unter die Nase zu reiben.
    Hin und wieder wurden sie von den Führern vor gewissen Cops aus San Diego gewarnt, die sich angeblich als Pollos verkleideten, nachts durch die Canyons streiften, furchtbar blutdürstig seien und die Pollos zu verprügeln und zu töten pflegten, bloß weil sie widerrechtlich ihr Land zu betreten versuchten.
    »Das sind Bescheuerte«, sagte einer der Grenzführer. »Die müssen sie direkt aus einem Irrenhaus geholt und hier rausgeschickt haben.«
    An diesem Abend waren mindestens dreihundert Menschen auf dem Fußballfeld. Ein Dutzend Grenzführer sprang überglücklich von Gruppe zu Gruppe und bot seine Dienste an. Außerdem gab es in dieser Zeit, in der alle darauf warteten, daß sich der orangefarbene Feuerball hinter den Bergen versteckte, jede Menge Verkaufsstände.
    Hausierer hasteten herum, die Limonade und Kaffee verkauften. Ein Mann widmete dem Land, das er gerade verlassen wollte, traurige Lieder zur Gitarre. Fünf Töchter, die keine Mutter mehr hatten, verabschiedeten sich von ihrem Vater, und alle weinten.
    Der bei weitem gefühlvollste und sentimentalste Barfer war Renee Camacho. Deswegen und wegen seiner hellen Jungenstimme, die sich fast in eine Mädchenstimme verwandelte, wenn er wie ein Grenzgänger zu sprechen versuchte, nannten ihn die Andern gern maricon und behaupteten, er sei in seinen Kumpel Joe Castillo verliebt. Renee war normalerweise ein lustiger

Weitere Kostenlose Bücher