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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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jedoch weiter, und Fred Gil, der sich von Minute zu Minute elender fühlte, krächzte: »Ist ja alles klar, Manny. Ich fahr mit der Ambulanz.«
    »Du fliegst mit dem Hubschrauber. Schmeißt den Drecksarsch RAUS!«
    »Aber er stirbt, Manny«, argumentierte Fred Gil.
    »Er kann mich am Arsch lecken!« schrie Manny Lopez.
    »Scheibenkleister«, sagte Fred Gil und flüchtete sich in seine üblichen Euphemismen. »Verflixt und zugenäht!«
    Das Schlimmste jedoch stand ihm immer noch bevor. Der arme alte Fred Gil wurde also tatsächlich auf die Tragbahre außen am Hubschrauber gepackt, und weil es kalt war und er mehrere Minuten fliegen mußte, hatten sie Angst, er könne erfrieren. Deshalb steckten sie ihn in einen wärmenden Sack – einen Leichensack. Er begriff kaum, was sie mit ihm machten, bis er es hörte – das schrecklichste Geräusch, das er in seinem ganzen Leben je gehört hatte.
    Schrecklicher, als wenn man von einem bewaffneten und nach Müll stinkenden Gangster angehaucht wurde, der einen rumkommandierte: »Rück dein Geld raus!« Schrecklicher als abgefeuerte und detonierende Raketen unten in Da Nang. Schrecklicher als ein betrunkener Vater, der einem sagte: »Aus dir wird nie was außer 'nem Muttersöhnchen!« Schrecklicher als all das war dieses Geräusch.
    Fred Gil war sowieso schon zumute wie diesen armen Taranteln und Skorpionen, die von den mexikanischen Kinder lebendig gefangen und an die Touristen verkauft wurden. Die einst so starken und giftigen und jetzt so bemitleidenswerten Tiere tappten und schnappten blind herum, und was ihnen fehlte, war offenbar nicht etwa genügend Luft, sondern ihre Freiheit. Genügend Luft zum Atmen nämlich hatten sie in ihren Gefängnissen, und trotzdem benahmen sie sich immer so, als könnten sie nicht atmen. Warum sagten ihre blöden Tarantel- und Skorpiongehirne ihnen nicht, daß sie im Grunde nur deshalb nicht in der Lage waren, zu atmen, weil sie so wilde und hektische Bewegungen …
    Fred Gil konnte nicht atmen! Das Schrecklichste, was er im Leben je gehört hatte. Er hörte ein Zippen. Das ZZZIP! eines Leichensacks, der zugemacht wurde. Und er glaubte plötzlich, er sei in Vietnam. Er wurde total und auf schrecklichste Weise verrückt.
    Er schrie: »WARTE WARTE WARTE WARTE WARTE WARTE!«
    »Auf was denn?« fragte Manny.
    Aber der arme alte Fred Gil wußte es nicht. Er war grauenhaft geschockt und von heller Panik gepackt, weil hier alles schiefging – aber er wußte nicht, weshalb alles schiefging. Und er konnte einfach nicht mehr schnell genug denken, um irgendwas anderes sagen zu können als immer wieder: »WARTE WARTE WARTE WARTE!«
    Manny Lopez, der auf dem Weg bergauf pausenlos mit ihm geredet hatte, um ihn zu beruhigen, fiel's wie Schuppen von den Augen: er war nicht ganz dicht, denn er hatte irgendeine Art von Schock oder so was.
    Fred Gil konnte sich vor allem deshalb nicht aufsetzen und diesen ganzen Idioten erklären, seine grauenhafte Angst rühre daher, daß er in einem durch einen Reißverschluß gesicherten Leichensack steckte, weil er seine diesbezüglichen Erlebnisse Tausende von Meilen entfernt und bereits vor einer Anzahl von Jahren gehabt hatte, und so sagte er bloß: »Meine Weste meine Weste meine Weste! Ich krieg keine Luft!« Und danach sah's ja auch tatsächlich aus, denn er schnappte dauernd wie verrückt nach Luft. Deshalb machte einer von ihnen diesen bescheuerten Leichensack auf, um ihm seine kugelsichere Weste abzunehmen, und obgleich das wirklich teuflisch weh tat, fühlte Fred Gil sich erleichtert.
    Dann sagte Manny Lopez: »Na, ist es besser?«
    Ehe Fred Gil ihnen jedoch sagen konnte, wieviel besser er es finden würde, nicht in diesen Totensack gezippt zu werden, war er schon wieder drin. ZZZZZZZZZIIHIIHP!
    Bloß dieses eine einzige Mal war Fred Gil vor lauter Grauen kurz weggetreten. Immerhin weit weggetreten. Der Helikopter hob ab.
    »Und jetzt unternahm mein Geist eine kleine Reise«, wie er das beschrieb.
    Fred Gil hatte einen Wachtraum vom Typ Carlos Chacon, eine Halluzination auf Breitwand und in Technicolor, das Ganze in Stereo. Seine Phantasie gaukelte ihm vor, er stehe neben seinem Körper und könne sehen, wie einer von diesen elenden, von Kakteen zerstochenen, gefühllosen, Würmer kauenden, Gangster fertigmachenden, angeberischen, in die Hüfte geschossenen und trotz und alledem völlig unbedeutenden Typen auf einer Drahttrage lag, die außen an einem alten, ausrangierten, in knapp zweihundert Meter Höhe über

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