Die Sanddornkönigin
Edding neben die quadratischen Knöpfe geschrieben worden, was man in welchem Stockwerk finden konnte. »K« für Küche, Nähstube und Mangelraum. Doch dahin wollte Wencke nicht.
»Frau Felten-Cromminga ist in ihrer Wohnung, doch sie möchte sicher nicht gestört werden.« Zum ersten Mal war Wencke tatsächlich der Kragen geplatzt, und sie hatte an der Rezeption zu dem blassen Mädel »Scheißegal« gesagt.
Neben der »4« stand nur »Privat«, das Licht im Druckknopf erlosch, und die Türen öffneten sich. Meint klopfte an der Holztür mit dem anheimelnden Willkommensschild. Eine Zeit lang tat sich nichts, obwohl man von drinnen Schritte hören konnte. Schließlich öffnete ein Mann die Tür, er füllte mit seinen breiten Schultern nahezu den ganzen Rahmen aus.
»Wir sind die Leute von der Kripo. Ist Frau Felten- Cromminga da?«
Der Dicke schüttelte den Kopf. Wencke wollte an ihm vorbei in die Wohnung eintreten, doch er wich keinen Schritt zur Seite. »Soweit ich weiß, ist sie aber doch da und will nur nicht so gern gestört werden, was mich aber nicht davon abhalten kann, ihr einen Besuch abzustatten.«
»Sie ist eben aus dem Haus gegangen. Ich habe auch keine Ahnung, wann sie wieder zurückkommen wird.«
Wencke spürte schon wieder die Ader an ihrem Hals flattern. »Wer sind Sie überhaupt? Nach dem persönlichen Hausdiener sehen Sie nicht gerade aus.«
Der Typ lachte kurz.
»Im Prinzip bin ich es aber, wenn Sie so wollen. Ich bin der Therapeut von Frau Felten-Cromminga, mein Name ist Dr. Joachim Gronewoldt.« Er trat zurück und ließ Meint und Wencke eintreten.
»Wenn Sie mögen, können wir uns auch ein wenig unterhalten, natürlich nur im Rahmen meines Schweigegebotes.« Sie folgten ihm in einen Raum, der zu groß war, um Wohnzimmer genannt zu werden, der aber anscheinend eine solche Funktion haben sollte. Der Therapeut ließ sich auf einen grünen Ledersessel fallen und wies ihnen das ausladende Sofa gegenüber zu. Er schien sich hier wie zu Hause zu fühlen, ein gefüllter Cognacschwenker stand vor ihm, und im Kaminofen brannte ein behagliches Feuer. Es musste gerade erst entfacht worden sein, die Flammen nagten hungrig an den Holzscheiten. Wencke blieb lieber stehen.
»Sie ermitteln in der Mordsache Polwinski. Es interessiert mich, schließlich war diese junge Frau so etwas wie eine Kollegin, und sie hatte engen Kontakt mit dem Ehepaar Felten. Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?«
»Nein danke«, lehnte Meint mit einem höflichen Lächeln ab. Wencke schwieg, sie war weder zu einem »Nein danke« noch zu einem »Ja bitte« fähig, so wütend war sie. Langsam spürte sie, dass ihr die Zügel aus der Hand genommen wurden in diesem Hotel. Sie konnte nicht entscheiden, wann und mit wem sie Frage-Antwort-Spiele austragen durfte, ständig bekam sie etwas vorgesetzt, nach dem sie nicht verlangt hatte, und das, was sie wollte, blieb ihr höflich verwehrt. Sie sehnte sich zurück nach einem Fall, bei dem sie im Dreck wühlen konnte, bei dem sie ihretwegen auch ein wenig versank in dem Sumpf aus Kriminalität und Elend. Doch dieses Kasperltheater machte sie nicht länger mit, sie hatte das Gefühl, dass sie mit Schlittschuhen über einen See tanzte, unter dessen aalglatter Eisfläche ein Morast waberte, an den sie nicht herankam. Sie musste endlich die brüchige Stelle finden, auch wenn sie dann mit einem Mal selbst bis zum Hals drin steckte. Und sie ahnte, Hilke Felten- Cromminga wäre ihr Durchbruch gewesen. Wo zum Teufel war sie bloß?
Dr. Gronewoldt schien sie zu beobachten. Sie hasste es, wenn irgendwelche Psychoprofis mit ins Spiel kamen. Sie war es schließlich nicht, um die es hier ging. Sie war nicht eine der Kasperlfiguren, sondern die, an deren Händen sie steckten. Doch zurzeit saß sie eher im Zuschauerraum und kreischte laut, weil die arme Großmutter entführt worden war.
»Wo ist sie?«
Gronewoldt räusperte sich. »Ich fürchte, das weiß im Augenblick niemand. Sie hat vor einer Stunde ohne ersichtlichen Grund das Hotel verlassen. Etwas überstürzt, würde ich sagen. Sie hat nicht viel mitgenommen, meines Wissens nach nur ihre Jacke.«
»Ist es denn so außergewöhnlich, dass Frau Felten- Cromminga außer Haus geht?«
»Ich denke, ich verrate Ihnen nichts Neues, wenn ich sage, dass diese Frau, also meine Patientin, sehr labil und psychisch nicht belastbar ist. Unter dieser Prämisse ist es sehr ungewöhnlich, dass sie sich einfach davonmacht. Sie leidet unter etlichen
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