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Die Sanddornkönigin

Die Sanddornkönigin

Titel: Die Sanddornkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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davongerannt, schneller und ausdauernder, als sie es sich selbst je zugetraut hatte. Und während sie fast mechanisch ihre rasenden Schritte nur weg, weg, weg von ihm bewegte, da war es, als kämen all die verdrängten Bilder hinter ihr hergerannt. Der Vertrag, sie hatte ihn längst vergessen. Schon in dem Moment, als sie ihn in den sicheren Händen des Anwaltes wusste, hatte sie ihn aus ihren Gedanken verbannt. Das »Dünenschloss« war ihres, wenn auch nur auf dem Papier und schon seit langer Zeit nicht mehr in ihrem Herzen. Doch schwarz auf weiß war es ihr Hotel, sie hatte es damals überschrieben bekommen, damit die Erbschulden, die Thore von seinen Eltern mit übernommen hatte, nicht an allen Ecken und Enden ihrer Existenz nagten. Es war damals nur etwas Bedeutungsloses für sie gewesen, doch nun war es etwas, das ihr Leben bedrohte. Sie kannte Thore, er war ein Meister des taktischen Vorgehens. Hilke wollte sich lieber nicht all die scheinbaren Nebensächlichkeiten durch den Kopf gehen lassen, die in Wahrheit zu seinem Spiel gehört hatten. Ihr wurde übel, wenn sie an die Rolle dachte, die Dr.
    Gronewoldt dabei übernommen haben könnte. Sie wusste nur, dass es richtig gewesen war davonzulaufen, obwohl sie nun fror wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
    Diese alte Hütte, wie lang würde sie hier bleiben können?
    Sie war schon einmal ihr Versteck gewesen, damals, als sie für Fokke gearbeitet hatte. Thore hätte es ihr nie erlaubt, auch nur einen Stich für ihren Sohn zu nähen. Die »Auster« war ein Tabuthema zwischen ihnen gewesen, hätte er es jemals erfahren, dass ihre langen Strandspaziergänge damals in Wirklichkeit endlose Nähte in kariertem Leinenstoff waren, er hätte die Gardinen wahrscheinlich eigenhändig zerschnitten. Jeder hatte das Flair der »Auster« gelobt, nicht nur das Essen sei dort außergewöhnlich geschmackvoll, hieß es im »Waterkant-Gourmet«. Und es war für sie eine heimliche Genugtuung gewesen, Thore darüber toben zu sehen. Er hatte es nie erfahren. Nur Fokke wusste außer ihr von dieser Jagdhütte, die von allen anderen Insulanern fast vergessen in den Dünen am Ostende der Insel stand. Es konnte sein, und das hoffte sie inständig, dass Fokke verstand, worum es ging. Denn wenn er aus Sorge um sie das Falsche tun würde, dann kämen sie gleich, um sie zu holen. Und was dann auch immer geschehen würde, sie hätte mit Sicherheit keinen Einfluss mehr darauf, was mit ihr passierte. Dafür würden ihr Mann und Dr. Gronewoldt schon sorgen.
    Es war dunkel, und es war still. Nur in ihrem Kopf war es so hell und laut wie schon lange nicht mehr, und obwohl sie sich fürchtete und es vielleicht eine Falle war, in der sie saß, spürte sie ein bisschen etwas, das sich wie Freiheit anfühlte. Sie erhob sich von der knarrenden Holztruhe und rieb ihre Hände über der kleinen blauen Flamme. Ihre Augen hatten sich an das Dunkel gewöhnt, sie konnte schemenhaft die Umrisse der spärlichen Möblierung erkennen. Es mussten in der Zwischenzeit Menschen hier gewesen sein. In einer Ecke hatte sich wohl jemand aus einem angeschwemmten Fischernetz ein Feldbett gebaut, es roch nach Seetang und alten Muscheln. Im Sommer mochten sich so manche obdachlosen Spontanurlauber ein solches Dach über dem Kopf gesucht haben. Vielleicht war diese stinkende Mulde auch ein Liebesnest, in dem verbotene Leidenschaften aufflackerten. Doch zu dieser Jahreszeit ging niemand freiwillig die fünf Kilometer hier hinaus, um sich in feuchtem Strandgut zu wälzen. Die Jäger hatten zwar bald Saison, doch machten seit Jahren die Naturschützer in diesem Teil der Insel dem Jagdinstinkt einen Strich durch die Rechnung. An den Wänden hingen wellig gewordene Vereinswimpel, daneben einige Fotografien, die stolze Männer mit toten Hasen zeigten. Die Männer darauf waren inzwischen größtenteils selbst in die ewigen Jagdgründe eingegangen.
    Ein huschendes Geräusch vor der Tür ließ Hilke aufschrecken, sie sah aus dem Fenster. Es war nur ein leises Rascheln gewesen, zu leise, um wirklich bedrohlich zu sein, aber ihr schlug das Herz so hoch, dass sie meinte, ihre Augen hätten zu vibrieren begonnen. Ich muss raus hier, bei dem kleinsten Geräusch. Ich kann nicht nachschauen, woher es kommt, dann ist es zu spät, dachte sie hektisch. Der Fasan, der langsam pickend die Düne hinauflief, beruhigte sie ein wenig. Doch ihr Blut rauschte noch in den Ohren.
    Sie hockte sich vor die Kiste, auf der sie gesessen hatte. Schon damals war die

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