Die Sanddornkönigin
aufgeschnitten haben und feststellen mussten, dass Ronja Polwinski eigentlich eine ganz nette Frau war, die über ein enormes Fachwissen in punkto Touristik und Psychologie verfügte. Das ist nämlich das Einzige, was wir hier bislang über sie herausgefunden haben.«
Riemer lachte, und sie konnte hören, dass sein Lachen in einem großen gefliesten Raum widerhallte. Er war also noch im Obduktionssaal, was bedeutete, dass sie etwas besonders Wissenswertes entdeckt haben mussten, sonst hätte er sicher vom Büro aus telefoniert.
»Sie ist erfroren.«
»Quatsch«, entfuhr es Wencke.
»Sie hat eine große Menge eines Beruhigungsmittels im Blut, doch daran ist sie nicht gestorben. Wir nehmen an, dass sie erst betäubt und dann nackt in eine Art Kühlraum gelegt wurde, wo sie schließlich erfroren ist.«
»Und wann?«
»Das ist unser Problem. Wir können Ihnen zwar sagen, dass die Leiche zum Zeitpunkt ihres Auffindens bereits seit zirka vierundzwanzig Stunden wieder Normaltemperaturen ausgesetzt war, sie muss also am frühen Dienstagmorgen in den Dünen abgelegt worden sein. Wir können aber leider absolut keine Auskunft darüber geben, wann sie zu Tode gekommen ist. Zumindest jetzt noch nicht. Wir müssen die gute Sanddornkönigin wohl noch einmal auf Reisen schikken, hier in Oldenburg fehlen uns dafür die nötigen Gerätschaften.«
»Was ist mit dem Medikament? Irgendetwas Exotisches?«
»Nein, aber verschreibungspflichtig, Benzodiazepin. Bei Angstzuständen, Schlaflosigkeit und dem ganzen Psychokram wird es verordnet. Es macht einen ziemlich fertig, ich denke, die arme Polwinski hat noch nicht einmal mitgekriegt, dass sie jetzt tot ist.«
»Ist vielleicht auch besser so. Lag Vergewaltigung oder Ähnliches vor?«
»Nein, nichts dergleichen, der Mörder oder die Mörderin scheint relativ anständig mit der armen Frau Polwinski umgegangen zu sein. Verwundert uns selber, wir haben wirklich selten einen so attraktiven Frauenkörper aufgeschnitten.«
»Riemer, ich bitte Sie! Faxt uns den Kram in die Polizeistation, wir danken.« Sie gab Meint das Telefon zurück und erzählte mit hastigen Worten, was sie gerade erfahren hatte.
»Es ist hier im Hotel passiert«, sagte sie.
»Deine Laune hat sich anscheinend erheblich gebessert«, stellte er fest.
»Überleg mal: Psychopharmaka, Tiefkühlraum, Sanddornbusch. Ich glaube, wir können uns eine ganze Menge Arbeit sparen. Wir sollten die Räume im Keller grünlichst durchsuchen lassen, vor allem die Küche und die daneben liegenden Räume. Es würde mich nicht wundern, wenn wir ein paar persönliche Sachen von Ronja Polwinski finden sollten, zum Beispiel ihre Garderobe. Sie wird wohl kaum von sich aus splitterfasernackt in das Kühlhaus gegangen sein. Und wir sollten mit der ach so leidenden Frau Felten sprechen.«
»Frau Hilke Felten-Cromminga.«
»Cromminga? Jetzt sag nicht, sie ist…«
»Doch, soweit ich weiß, ist sie die Mutter von deinem Spitzenkoch.«
Wencke fluchte. Der Fall begann langsam interessant zu werden, begann Gestalt anzunehmen und ein Gesicht zu bekommen, das war ganz in ihrem Sinne. Doch es war ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack, dass ihr Herz auf einmal schneller schlug.
Fokke schwitzte. Es ging ihm nicht so gut heute. Er hatte gestern nicht den Dreh gefunden, zur rechten Zeit nach Hause und ins Bett zu gehen. Aber nach dem Gespräch mit dieser Frau war er wie aufgekratzt gewesen, er hatte die Striche auf seinem Bierdeckel nicht gezählt, aber es waren eine Menge gewesen. Dementsprechend fühlte er sich heute.
Kochen konnte er noch, so schlimm hatte es noch nie um ihn gestanden, dass er den Löffel abgegeben hätte. Seezungenröllchen in Champagnerschaumsoße, Butterkartoffeln und eine Komposition aus frischen Blattsalaten hatte er Wencke und ihrem Kollegen in den Wintergarten bringen lassen. Es hatte ihn einen viel sagenden Blick von Gunnar gekostet, doch das war es wert gewesen.
Nun kämpfte Fokke mit dem Geruch von heißem Frittierfett, der ihm von der Personalküche herüber in die Nase wehte. Er hatte sich gerade an seinen überfüllten Schreibtisch gesetzt, in seinem Kopf stachen die abgestorbenen Zellen von gestern Abend. Er heftete die Bestelllisten ab, eigentlich müsste alles da sein, und was jetzt noch fehlte, wäre sowieso nicht rechtzeitig auf der Insel. Gerade waren die Kartons von der Druckerei gekommen, zweihundert Menükarten im Sanddorndesign, Sand – Orange – Schwarz und Gold, sie waren bildschön. Das
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