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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Fleisch wie eine Gewehrkugel davonschießen. Es flog ein ganzes Stück weit und fiel schließlich wie ein Haufen Vogeldung einem dunkelhäutigen Soldaten auf den Kopf. Dieser schrie entsetzt auf, als wäre er gerade von einem schweren Ziegelstein getroffen worden, und zitterte am ganzen Körper.
    In der Sprache der Henker nannte man diesen ersten Fleischbrocken den »Dank an den Himmel«.
    Das Blut perlte unablässig aus der Wunde in Qians Brust, teils tropfte es auf den Boden, teils lief es an den Wundrändern herab und besudelte die muskulöse Brust des schönen Mannes.
    Der zweite Schnitt setzte an der linken Brust an, auch dieser sauber und präzise. Mit einer Drehbewegung fräste das Messer die linke Brustwarze aus dem Fleisch. Jetzt prangten zwei kupfermünzengroße Höhlen in Qian Xiongfeis Brust. Es floß aber nicht allzuviel Blut. Das lag daran, daß mit dem ersten abrupten Messerstich das Herz des Delinquenten bereits geschrumpft war, was zu einer starken Verlangsamung des Blutkreislaufs führt. Das lehrte die Erfahrung unzähliger Hinrichtungen, ausgeführt von Generationen von Henkern der Exekutionsabteilung des Tribunals des Justizministeriums. Man konnte es ein Mittel nennen, das sich durch vielfache Erprobung bewährt hatte.
    Qian Xiongfei bewahrte seine stolze Haltung, aber ein feiner Laut, ein kleines Aufstöhnen, das nur Zhao Jia zu hören in der Lage war, entwich ihm. Zhao Jia zwang sich, ihm nicht ins Gesicht zu sehen. Er war die entsetzlichen, herzerweichenden Schreie der mit dieser Hinrichtungsmethode Gefolterten gewohnt und verstand sich darauf, trotz dieser Laute mit großer Kaltblütigkeit sein Werk zu verrichten. Doch konfrontiert mit einem stahlharten Burschen wie diesem Xiongfei, der die Zähne zusammenbiß und nur diesen kaum vernehmlichen Laut von sich gab, wurden seine sonst für jeden Laut tauben Ohren paradoxerweise erschüttert. Er fühlte sich verunsichert und fürchtete, daß etwas Unvorhergesehenes passieren konnte. Er konzentrierte sich darauf, das Fleischstück aufzuspießen und mit äußerster Sorgfalt dem Publikum zu präsentieren, erst Seiner Exzellenz, dann den Offizieren und schließlich den leichenblassen Soldaten. Sein Lehrling fuhr mit der Zählung fort: »Schnitt Nummer zwei!«
    Nach seiner eigenen Einschätzung war das Ritual der Präsentation des dem Verurteilten herausgeschnittenen Fleisches vor den Funktionären, die mit der Überwachung derselben beauftragt waren, den folgenden juristischen und psychologischen Erwägungen geschuldet: Erstens, die Unbeugsamkeit des Gesetzes und der restriktiven Ausführung desselben durch den Henker zu demonstrieren. Zweitens, die Zuschauer zutiefst zu erschüttern, um damit all ihre bösen Absichten auszumerzen und sie vom Verbrechen abzuschrecken  – der Grund, weshalb von jeher und zu allen Zeiten Hinrichtungen öffentlich durchgeführt wurden. Und drittens mußten die seelischen Bedürfnisse der Leute befriedigt werden. Keine Theaterinszenierung, wie meisterhaft auch immer, konnte mit dem Schauspiel der Zerstückelung eines Menschen bei lebendigem Leibe mithalten. Aus diesem Grund hatten die Henker für die großen Operndarbietungen im Kaiserpalast auch nur Verachtung übrig.
    Während er vor dem Publikum das zweite Stück Fleisch auf der Messerspitze zur Schau stellte, erinnerte sich Zhao Jia an eine Szene aus seiner Zeit als Meisterschüler des Henkers. Zur besseren Praxis der hohen Kunst der Zerstückelung unterhielten die Henker der Hinrichtungsabteilung gute Beziehungen zu einer großen Metzgerei in der Nähe des Chongwen-Tores. Wenn die Hinrichtungen gerade nicht Saison hatten, brachte sie ihr Meister als freiwillige Helfer dorthin. Dort verarbeiteten sie wer weiß wie viele fette Schweine zu Hackfleisch. Sie brachten es zu einer Präzision, die jeder Waage Konkurrenz machen konnte. Wenn sie das Messer ablegten, nachdem sie ein Pfund Fleisch zurechtschneiden sollten, brachte es garantiert kein Gramm mehr und kein Gramm weniger auf die Waage. Unter dem Siegel von Großmutter Yu eröffneten sie schließlich sogar eine Metzgerei in der kleinen Guaigun-Gasse von Xisi. Im Laden wurde Fleisch verkauft und im Hof wurde geschlachtet. Das Geschäft lief blendend. Doch irgendwann hatte wohl jemand etwas über ihre Herkunft fallenlassen und das Geschäft brach ein. Niemand getraute sich mehr, bei ihnen Fleisch zu kaufen und wer durch die Gasse kam, schlich sich möglichst unauffällig an ihrem Laden vorbei, wohl aus Furcht,

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