Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
dafür die sogenannte »Gebühr für überschüssigen Essig« verlangen. Diese Regel war reine selbstherrliche Willkür, da der Essigmacher selbst den Essig umsonst zu Verfügung stellen mußte, es gab keinerlei vernünftige Erklärung dafür. Doch da es sich bei der Qing-Dynastie um eine Dynastie handelte, die den allergrößten Respekt vor der Einhaltung der von den Vorfahren überlieferten Gesetze verlangte, ganz gleich wie überkommen und veraltet diese auch waren, konnte man sie nicht abschaffen. Und anstatt sie abzuschaffen, wurden sie unter den Qing sogar noch drastischer. Zu diesen überlieferten Bräuchen gehörte auch, daß der Verurteilte das Recht hatte, auf seinem Gang zum Schafott bei allen Gasthäusern, die den Weg säumten, nach Herzenslust und kostenlos zu essen und zu trinken. Der Henker seinerseits genoß jenes Vorrecht, sich in den Läden einen Eimer Essig abzuholen und dort hinterher besagte Gebühr zu kassieren. Eigentlich hätte der Laden dafür zumindest den Essig zurückbekommen müssen, doch dem war nicht so. Der Essig wurde statt dessen an die Apotheken verkauft. Es hieß, er sei vom Blutgeruch der Hingerichteten beeinträchtigt und schon kein gewöhnlicher Essig mehr; er besitze jetzt wundersame, lebensrettende Heilkräfte. Die Apotheken vertrieben ihn deshalb unter dem schmucken Namen »Glücksessig«, aber nicht ohne dafür vorher bei den Henkern einen Zoll für dieses Wundermittel entrichtet zu haben. Wenn ein Henker einmal knapp bei Kasse war, kamen ihm diese traditionsbedingten Bestimmungen zupaß, um an Geld zu kommen.
Zhao Jia warf das dritte Stück Fleisch in die Höhe, dies nannte man »Dank an die übernatürlichen Kräfte«.
Der Gehilfe rief: »Schnitt Nummer drei!«
Nun machte er sich an den vierten Schnitt. Qians Fleisch war sehr elastisch und leicht zu schneiden. Nur ein Verbrecher von so gesunder und durchtrainierter Konstitution hatte so gutes Fleisch. Das Fleisch eines Verbrechers zu zerschneiden, der fett wie ein Schwein war oder mager wie ein Affe, war für den Henker viel anstrengender. Doch der Aspekt der Anstrengung war sekundär, die Krux war, daß die Schnitte nicht so schön gelangen. Es war wie in der Küche eines Meisterkochs: Wenn dieser keine erstklassigen Zutaten hatte, verhalf ihm auch die raffinierteste Kochkunst nicht zu einem erstklassigen Bankett. Oder wie bei einem Holzschnitzer, der ohne geeignetes Holz, ganz gleich wie hervorragend seine Technik war, keine lebensechte, prächtige Schnitzerei zustande brachte. Großmutter Yu hatte erzählt, daß er es zur Zeit der Regierungsdevise Daoguangs einmal mit einer Frau zu tun gehabt habe, die des gemeinschaftlichen Mordes mit ihrem Liebhaber an ihrem Ehemann für schuldig befunden worden war. Der fette Leib dieser Frau sei wie ein Sojabohnengelee gewesen, alles habe gewackelt, wenn man hineinstach, und es sei unmöglich gewesen, einen geraden Schnitt zu machen. Was er von ihr heruntergeschnitten habe, sei wie klebriger Rotz gewesen, und kein Hund habe es fressen wollen. Überdies habe diese Frau eine Art zu schreien an sich gehabt, ein Heulen und Kreischen, daß es einem durch Mark und Bein gegangen sei, kein Gedanke daran, hier saubere Feinarbeit zu leisten.
Unter den Frauen, hatte sein Meister gesagt, gebe es aber welche von anderer Qualität, mit butterzarter Haut und Muskeln, die zu zerschneiden eine wahre Wonne gewesen sei. Er erzählte, daß er in der Ära Xianfeng einmal einen solchen Leckerbissen zu bearbeiten gehabt hätte. Es hieß, daß sie ein Freudenmädchen war, das des Geldes wegen den Bordellbesitzer umgebracht hatte. Diese Frau sei eine wahre Schönheit gewesen, so liebreizend und sanft, daß man sie einfach bemitleiden mußte und nicht glauben wollte, daß so ein zartes Wesen zu einem Mord fähig war. Den größten Dienst, den ein Foltermeister einem Verbrecher erweisen könne, so sein Meister, war seine Sache besonders gut zu machen. »Wenn du eine Frau ehrst und vielleicht sogar liebst, ist das beste, was du für sie tun kannst, sie zu einem Musterexemplar der Folterkunst zu machen. Wenn du Mitleid mit ihr hast, mußt du deine Arbeit ohne jeden Fehl verrichten. Du mußt alle Kunst, zu der ihr Körper dich befähigt, zur Schau stellen, wie ein großer Schauspieler.« Er hatte erzählt, daß es am Hinrichtungstag dieser schönen Prostituierten einen riesigen Menschenauflauf gegeben habe, die Leute hätten sich auf dem Richtplatz vor dem Gemüsemarkt in Beijing zu Tode getrampelt. Über
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