Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
gesammelt worden. Nach vollendeter Hinrichtung wurden sie durch den Überwachungsbeamten, in Anwesenheit der Familie des Delinquenten, gezählt. Ein einziges Stück mehr oder weniger, und der Henker wurde bezichtigt, das kaiserliche Gesetz zu verhöhnen. Sein Meister erzählte, daß in der Song-Zeit ein Scharfrichter einmal ein Stück zu viel abgeschnitten hätte, woraufhin die Familie des Bestraften beim Tribunal Beschwerde eingelegt hatte und der Henker seinen Fauxpas mit dem Leben büßte. Diese Arbeit war also nicht nur ein ausgesprochen diffiziles Unterfangen, der Henker spielte dabei auch mit dem eigenen Leben. »Überlege nur einmal«, hatte Großmutter Yu gesagt. »Da muß man dafür Sorge tragen, gleichmäßige Stücke herauszuschneiden, dann soll der Verurteilte erst beim letzten Schnitt sterben, und außerdem soll man sich genauestens die Zahl der Schnitte merken. Stell dir vor, dreitausenddreihundertsiebenundfünfzig Schnitte! Oft war man einen ganzen Tag damit beschäftigt, manchmal mußte man die Prozedur auf Befehl des Vorgesetzten über drei bis fünf Tage hinziehen, was den Schwierigkeitsgrad für den Henker noch um einiges erhöhte. Selbst der unerschütterlichste Foltermeister sinkt nach Vollendung einer solchen Strafe erschöpft zu Boden!« Die Foltermeister späterer Generationen, so Großmutter Yu, hätten sich darauf verständigt, die Körperteile nicht mehr auf einem Tisch zu stapeln, sondern sie wegzuwerfen. Seither war jede Hinrichtung dieser Art ein Festtag für die Wildhunde, Krähen und Geier.
Zhao Jia wischte die Brust des Delinquenten mit einem Handtuch ab, das er in Salzwasser getaucht hatte. Die Wunden sahen nun aus wie Astlöcher in einem Baum. Er schnitt ihm das dritte Stück Fleisch aus der Brust. Auch dies war so groß wie eine Kupfermünze und hatte die Form einer Fischschuppe. Die drei Wunden schlossen an den Rändern aneinander an, blieben aber klar voneinander getrennt. Fische schuppen, so sagte sein Meister einmal, wäre eine weitere Bezeichnung für die Strafe der Zerstückelung, und dieses Bild traf den Nagel auf den Kopf. Das dritte Stück Fleisch sah frisch und weiß aus, nur ein paar Blutstropfen traten daraus hervor. Für Zhao Jia bedeutete dies einen vielversprechenden Beginn seiner Arbeit, und er war überaus zufrieden. Sein Meister hatte gesagt, bei einer gelungenen Zerstückelung trete nur sehr wenig Blut aus. Er hatte ihm auch mit auf den Weg gegeben, daß man dem Verurteilten vor jedem Schnitt einen überraschenden kleinen Schlag mit der flachen Hand versetzen müsse. Dadurch sammle sich dessen Blut im Magen und in den Waden und man könne wie bei einer Mohrrübe ein Stück nach dem anderen abhacken, ohne daß der Todeskandidat vorzeitig verblute. Falls man diese Regel mißachte, laufe das Blut aus wie Wasser; und der Henker müsse mit einem widerlichen Geruch kämpfen, das Blut besudele den ganzen Körper und behindere die sachgemäße Ausführung der weiteren Schnitte, das Messer verfehle den richtigen Ansatzpunkt und man hätte einen Riesenschlamassel am Hals. Natürlich war in der Vergangenheit bei der Ausführung dieser Strafe immer wieder einmal etwas schiefgegangen, doch es war ihnen immer wieder gelungen, solche brenzligen Situationen in den Griff zu bekommen. Wenn das Blut nicht aufhören wollte zu fließen und man nicht mehr weitermachen konnte, war eine der Notfallmaßnahmen, dem Delinquenten einen Eimer eiskaltes Wasser ins Gesicht zu schütten. Dieser plötzliche Schrecken versiegelte seine Venen. Wenn Wasser noch nichts nützte, dann nahm man noch einen Eimer Essig dazu. Im klassischen Apothekerhandbuch Materia Medica wurde dem Essig eine kontraktionsfördernde Wirkung zugeschrieben und genau das wollte man damit als Henker erreichen. Wenn auch diese Methode ohne Wirkung blieb, dann war das letzte Mittel, dem Verurteilten schnell zwei Stücke Fleisch aus den Waden zu schneiden, um das Blut dorthin fließen zu lassen. Doch damit riskierte man den Tod durch Verbluten vor Vollendung der Folterstrafe.
Qians Venen waren offensichtlich gut geschlossen. Zhao Jia entspannte sich allmählich, da es ganz so aussah, also ob der Erfolg der heutigen Aktion bereits zu fünfzig Prozent gewiß sei und er sich den Eimer erstklassigen, lange gereiften Essigs aus Shanxi, der für alle Fälle bereitstand, wieder mitnehmen könnte. Gemäß den ungeschriebenen Regeln der Henkertradition konnten die Foltermeister den unbenutzten Essig zum Essigladen zurückbringen und
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