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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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weizenkorngroßes Muttermal, doch ihre Stimme war wohltönend und herzlich, was den Präfekten sofort milde und versöhnlich stimmte. Er setzte sich den Hut auf. Liu Pu wischte mit dem Fell seines eigenen Kleiderbündels den Staub vom Zopf des Präfekten. Dieser war so schmutzig wie der Schwanz eines Ochsen, der Durchfall hat. Chunsheng schnauzte mit einem wütenden Blick die Frau an: »Du blöde Kuh, hast du keine Augen im Kopf? Siehst, daß Seine Exzellenz kommt und beeilst dich nicht, einen Stuhl für ihn herbeizuholen!«
    Qian Ding gebot den ungerechten Worten Chunshengs Einhalt und dankte der Frau, der die Schamesröte ins Gesicht gestiegen war. Sie lief schnell in die Gaststube, um von dort einen schmierigen Stuhl zu holen, den sie dem Präfekten unterschob.
    Als er sich auf dem Stuhl niederließ, spürte er den Schmerz in all seinen Gelenken. Zwischen seinen Beinen fühlte es sich kalt und starr an. Die Innenseite seiner Schenkel war ganz wund gescheuert und brannte wie Feuer. Er fühlte eine heroische Genugtuung wegen seines Einsatzes für das Volk, der ihn diesen unverzögerten Aufbruch hatte wagen lassen, ohne sich um die Beschwernis der Reise zu scheren. Sein nobler Geist schien durch den frühen Morgen gen Himmel zu wabern wie der Duft der Fleischbrühe aus dem Wok. Langsam begann sein Körper in der Sonne aufzutauen wie ein gefrorener Rettich, wenn er geröstet und dabei inwendig weich und matschig wird, bis die gelbe Brühe aus ihm herausläuft ... Dem Präfekten quollen dicke Tränen aus den Augen, die seinen Blick trübten. Es war ihm, als sähe er das dankbare Volk von Gaomi auf dem Boden knien und als hörte er die Leute mit ihren schlichten und aufrichtigen Worten sagen: »Euer Exzellenz, aufrechter und glorreicher Beamter, der Ihr seid, ein Diener des Volks, der dem blauen Himmel gleicht ...«
    Die Wirtin stellte drei große, schwarze Schalen vor sie hin. In jeder Schale war eine aromatische, dunkle Sauce, in die sie noch jeweils einen Sesamfladen bröselte und mit Koriander und Salz nachwürzte. Jede ihrer Bewegungen zeugte von ausgesprochener Geschicklichkeit. Sie fragte ihre Gäste nicht, was sie zu essen wünschten, sondern bediente sie mit einer Selbstverständlichkeit, als wären sie alte Stammgäste, deren Geschmack sie genau kannte. Während der Präfekt ihr rundes, weißes Gesicht betrachtete, wurde ihm ganz warm ums Herz. Irgendwie erinnerte ihn diese Frau an Meiniang. Sie nahm ihre langstielige Kelle zur Hand und rührte damit im Topf. Der köstliche Duft der Rinderinnereien ließ Qian Ding das Wasser im Munde zusammenlaufen. Eine Kelle voll Innereien landete in seiner großen Schale, die dann noch einmal mit Brühe aufgefüllt wurde. Dann streute die Frau noch einen halben Löffel gemahlenen Pfeffer darüber. »Ordentlich Pfeffer treibt die Erkältung aus«, sagte sie leise. Gerührt nickte der Präfekt mit dem Kopf und rührte den Inhalt seiner Schale mit dem Löffel um. Sein Mund fuhr wie von selbst an den Rand der Schale und nahm mit einem lauten Schlürfen einen kräftigen Schluck. Doch seine Gier wurde sogleich bestraft: Es war, als ob er eine kochendheiße Maus im Mund hätte. Ausspucken ziemte sich nicht für einen Beamten, doch ebensowenig konnte er die scharfe Brühe im Mund behalten. Er mußte sie also hinunterschlucken. Qian Ding fühlte seine Eingeweide verbrennen und ihm wurde ganz anders zumute. Die Tränen traten ihm aus den Augen und seine Nase lief.
    Nachdem sie sich eine ganze Menge der scharfen Rindersuppe einverleibt hatten, kroch ihnen der Schweiß wie kleine Würmer aus allen Poren. Die Frau rührte unermüdlich in ihrem Topf und schöpfte ihnen immer wieder nach, so daß ihre Schalen gut gefüllt blieben. Aßen sie schneller, schöpfte sie schneller nach, aßen sie langsamer, wartete sie einen Moment länger. Schließlich legt der Präfekt die Hände zusammen, verbeugte sich höflich und sagte dankbar: »Danke, große Schwester, das genügt.« Die Frau sagte mit einem Lächeln: »Eßt ruhig nach Herzenslust, Exzellenz.«
    Nach so viel Rindersuppe mit Sesamfladen fühlte Qian Ding sich wieder zu Kräften kommen. Obwohl seine Beine immer noch schmerzten, hatten sie doch wieder einen soliden Stand. Er bemerkte, daß sich hinter ihnen ein paar Leute versammelt hatten, die neugierig die Köpfe reckten. Er war sich nicht sicher, ob sie einfach nur sehen wollten, was hier los war, oder ob sie eigentlich zum Essen gekommen waren, aber wegen seiner Anwesenheit nicht

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