Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
vernachlässigen ...«
»Ich würde es niemals wagen ...«
»Der Tod einiger aufsässiger Bauern ist keine große Sache«, unterbrach ihn sein Kollege kühl. »Wenn das genügen würde, um die Deutschen zu beruhigen und damit Schluß wäre mit weiteren Auseinandersetzungen, wäre es gar nicht einmal schlecht.«
»Aber ... diese siebenundzwanzig Menschenleben«, wandte Qian Ding ein, »man muß doch auch dem Volk Gerechtigkeit widerfahren lassen ...«
»Was für eine Gerechtigkeit?« sagte der Präfekt und schlug auf den Tisch. »Meinst du vielleicht, die Deutschen würden uns auch noch Reparationen zahlen?«
»Man muß in diesem Fall einfach Position beziehen. Wie soll ich als Verantwortlicher für den Kreis Gaomi sonst den Leuten gegenübertreten?«
Der Bezirkspräfekt sagte spöttisch: »Ich kann dir keine Unterstützung anbieten, und auch Bezirksmagistrat Tan oder Provinzgouverneur Yuan oder Ihre Majestäten der Kaiser und Kaiserinwitwe werden sich nicht für das Volk einsetzen.«
»Siebenundzwanzig Menschen sind tot, Exzellenz!«
»Wärst du deinen Pflichten ordentlich nachgekommen und hättest Sun Bing sofort verhaften lassen, um ihn den Deutschen auszuliefern, dann hätten sie nicht ihre Soldaten geschickt, und es hätte keine Toten gegeben!« Der Bezirkspräfekt schlug auf einen Stapel Papiere auf dem Tisch und fügte kühl hinzu: »Verehrter Freund, es heißt, Sun Bing hat nur deshalb fliehen können, weil du ihm eine Warnung hast zukommen lassen. Wenn diese Gerüchte Seiner Exzellenz Yuan zu Ohren kommen, wird dich das teuer zu stehen kommen.«
Qian Ding lief plötzlich der Schweiß aus allen Poren.
»Was dich betrifft, lieber Qian Ding, so ist deine dringendste Aufgabe nicht, dich für dein Volk einzusetzen, sondern so schnell wie möglich Sun Bing zu verhaften und ihn der Justiz zu übergeben. Sonst wird diese Angelegenheit nie erledigt sein, für das Volk nicht, für deine Vorgesetzten nicht, für den Kaiser nicht und schon gar nicht für die Ausländer.«
»Ich habe verstanden ...«
»Na, mein Lieber«, fragte der Präfekt mit einem anzüglichen Lächeln, »was ist denn nun diese Sun Meiniang für eine tolle Stute, daß sie dir so den Verstand benebelt hat?« Höhnisch setzte er hinzu: »Hast sie vielleicht gleich vier Brüste und zwei Juwelchen?«
»Exzellenz macht sich lustig ...«
»Ich habe gehört, daß du unterwegs vom Pferd gefallen bist und deinen Hut verloren hast.« Der Bezirkspräfekt nahm seine Teetasse in die Hand und ließ laut klirrend den Deckel auf den Rand der Tasse fallen. Er stand auf und sagte: »Werter Freund, nimm dich in acht, den Hut zu verlieren ist keine große Sache, aber den Kopf zu verlieren ist etwas anderes!«
5.
Zurück in der Kreisstadt, wurde Qian Ding krank. Zunächst waren es nur Kopfschmerzen und Sehstörungen, Durchfall und Erbrechen. Doch dann bekam er hohes Fieber, das nicht mehr sinken wollte, und redete im Delirium wirres Zeug. Seine Frau schickte nach dem Arzt und flößte ihm Medizin ein; außerdem stellte sie im Hof einen Altar auf, vor dem sie Räucherwerk verbrannte und sich jeden Abend betend davorkniete. Ob nun wegen der Medizin oder aufgrund von göttlichem Beistand – kurz darauf lief eine halbe Tasse voll schwarzen Blutes aus Qian Dings Nase, sein Fieber ging zurück und der Durchfall hörte auf.
Es war bereits die Mitte des zweiten Monats. Aus der Provinzverwaltung und der Bezirkspräfektur trafen laufend Telegramme ein, die zur Verhaftung von Sun Bing drängten, die Schreiber des Kreises saßen wie auf glühenden Kohlen, doch der Präfekt war den ganzen Tag über nicht bei vollem Bewußtsein. Ihm fehlte der Appetit und wenn es so weiterging, würde er gar nicht mehr in der Lage sein, dem Tribunal vorzusitzen und sich um die öffentlichen Angelegenheiten zu kümmern. Man konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob er überleben würde. Seine Frau stellte sich persönlich an den Herd, um die besten Gerichte für ihn zu kochen und tat überhaupt alles, was in ihrer Macht stand, doch der Präfekt verweigerte weiterhin das Essen.
Eines Nachmittags, zehn Tage vor dem Qingming-Fest, bestellte die Gnädige Frau Chunsheng, den Vertrauten ihres Mannes, in den östlichen Salon, um ihn zu befragen.
Chunsheng betrat mit einem unbehaglichen Gefühl das Zimmer und bemerkte sofort, daß die Gnädige Frau mit einer steilen Falte auf der Stirn und sehr ernstem Gesichtsausdruck starr wie eine Statue auf ihrem Stuhl saß. Eilig ließ er sich auf
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