Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
wagten, näher zu kommen. Er hieß Chunsheng, die Rechnung zu begleichen, doch die Frau weigerte sich, die Bezahlung anzunehmen. Seine Exzellenz habe ihrem bescheidenen Lokal bereits durch sein bloßes Hiersein eine hohe Ehre erwiesen und das magere Angebot ihrer Küche freundlich angenommen – wie könne sie da guten Gewissens Geld verlangen? Er murmelte etwas in seinen Bart, zog dann aus seiner Gürteltasche ein kleines Schmuckstück aus Jade hervor und sagte: »Große Schwester, sei herzlich bedankt für deine Gastfreundschaft. Da ich nicht weiß, wie ich sie dir sonst vergelten kann, nimm dieses Kleinod und gib es deinem Mann als Andenken.«
Die Wirtin wurde über und über rot und wollte das Geschenk zurückweisen, doch der Präfekt gab das Schmuckstück Chunsheng, und dieser legte es ihr mit den Worten in die Hand: »Wenn unser Präfekt dir etwas schenkt, dann kannst du es ruhig annehmen. Keine falsche Bescheidenheit.« Die Frau starrte sprachlos auf die Jade in ihrer Hand. Der Präfekt erhob sich, brachte seine Kleidung halbwegs in Ordnung, drehte sich um und ging in Richtung des Yamen davon. Er wußte, daß ihm viele Augenpaare hinterherstarrten, und er dachte, daß man sich vielleicht noch Jahre später diese schöne Geschichte vom Präfekten von Gaomi, der hier unter freiem Himmel Rast gemacht und Suppe mit Rinderinnereien gegessen hatte, erzählen würde und daß die Geschichte vielleicht sogar in einer Katzenoper vorkommen würde, die man noch Generationen später aufführte. Er wünschte, er hätte Papier und Pinsel dabei – dann hätte er dem Laden dieser freundlichen Frau einen schönen Namen gewidmet oder ein Gedicht in seiner schwungvollen Schrift, das zu einer Attraktion für zukünftige Gäste geworden wäre ...
So schritt der Präfekt die breite Straße auf dem Weg zum Yamen entlang, hocherhobenen Hauptes und mit geschwellter Brust, ganz der gewichtige und würdevolle Beamte des Hofes, der er war. Auf seinem Weg dachte er an das blütengleiche Gesicht Sun Meiniangs, an die weiße Haut und die schlanke Silhouette der Suppenverkäuferin und natürlich auch an seine Frau. Die erste dieser drei Frauen war wie Eis, die zweite wie Feuer und die dritte wie ein sanftes Ruhekissen.
4.
Es wurde ihm sehr schnell eine Audienz beim Bezirkspräfekten gewährt. Die Audienz fand in dessen Schreibzimmer statt. An der Wand hing eine Tuschemalerei des berühmten Malers Zheng Banqiao, der einmal Kreispräfekt von Wei gewesen war. Qian Dings Kollege, der in der Beamtenhierarchie eine Stufe höher stand als er, hatte dunkle Ringe unter den Augen und schwere Lider. Er wirkte sehr müde und gähnte ohne Unterlaß. Qian Ding erstattete ihm ausführlich Bericht über die Hintergründe der Ereignisse im Kreis Dongbei und das fürchterliche Massaker, das die Deutschen dort angerichtet hatten. Er machte keinen Hehl aus seinem Ärger über die Deutschen und seiner Sympathie für das Volk. Der Präfekt hörte sich alles an und verfiel für eine Weile in tiefes Nachdenken. Seine erste Frage war dann: »Habt Ihr Sun Bing verhaften lassen?«
Qian Ding lachte und antwortete: »Nun, die Antwort ist: Sun Bing hat sich aus dem Staub gemacht und konnte noch nicht vor Gericht gestellt werden.«
Der Bezirkspräfekt musterte ihn mit einem bohrenden Blick, so daß es Qian Ding ganz unbehaglich zumute wurde. Dann lachte sein Kollege trocken und fragte in einem vertraulichen Ton: »Kamerad, ich habe gehört, daß du und Sun Bings Tochter ... hahaha ... Was ist denn so Besonderes an dieser Frau, daß sie dir derart den Kopf verdreht hat?«
Qian Ding verschlug es die Sprache. Kalter Schweiß lief ihm den Rücken hinunter.
»Warum antwortest du nicht?« fuhr ihn der Präfekt mit verändertem Gesichtsausdruck an.
»Nun, die Antwort ist ... An der Beziehung zwischen mir und Sun Bings Tochter ist nichts Unmoralisches ... Ich gehe nur gerne bei ihr Hundefleisch essen, nichts weiter ...«
»Qian Ding, guter Kamerad«, das Gesicht des Bezirkspräfekten wurde wieder freundlich und teilnahmsvoll. Im Ton eines mahnenden Freundes sagte er: »Du und ich, wir werden beide vom Staat ernährt, wir beide sollten für die große Gnade, die uns der Kaiser und die Kaiserinwitwe zuteil werden lassen, dankbar sein. Nur wenn wir uns mit ganzer Kraft unseren Aufgaben widmen, können wir ein reines Gewissen bewahren. Wenn wir aufgrund einer persönlichen Liebschaft oder um jemanden zu schützen, das Gesetz mißachten und unsere Pflicht
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