Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
beim Nestbau. Im Dunkeln hörte man ihren schweren Atem und das leise Knacken der trockenen Gräser. Aus der Milchstraße ging ein Sternschnuppenregen nieder. In dem hellen Schein erhielten die Gesichter seiner beiden Gefährten vor dem Hintergrund der weiten und wilden Steppe einen bläulichen Schimmer. Qian Ding fiel plötzlich der Beamtenhut ein, das wichtigste Symbol für seinen Status und seinen Rang. Eilig befahl er: »Chunsheng, hör einen Moment auf mit dem Gräsersammeln, ich habe meinen Hut verloren.«
»Wartet, bis wir gleich Feuer machen, im Feuerschein sucht es sich besser«, sagte Chunsheng.
Daß Chunsheng es nicht nur wagte, sich seinem Befehl zu widersetzen, sondern auch noch offen seine eigene Meinung zu sagen, ließ den Präfekten einen langanhaltenden Seufzer ausstoßen. In dieser nächtlichen Wildnis konnte offenbar jede Konvention nach Lust und Laune revidiert werden.
Sie häuften das gesammelte Gras vor dem Präfekten auf. Es kam ein stattlicher Haufen zustande. Qian Ding befühlte das vom Frost feuchte Gras und fragte laut: »Chunsheng, hast du etwas, um das Feuer anzuzünden?«
»Verdammt, nein«, sagte Chunsheng.
»Ich habe etwas in meinem Rucksack«, sagte Liu Pu.
»Liu Pu, du bist wirklich ein vorausschauend denkender Mensch.« sagte Qian Ding mit einem Stoßseufzer. »Zündet rasch das Feuer an, ich bin schon starr vor Kälte.«
Liu Pu zog einen Feuerstahl, Feuerstein und Zunder aus seinem Rucksack und hockte sich vor den Grashaufen. Beim Reiben des Feuerstahls am Feuerstein regnete es Funken, die in das trockene Gras fielen. Liu Pu blies den Zunder an, bis er endlich zu glühen begann. Nun holte er tief Luft und blies mit aller Kraft. Er blies stärker, bis schließlich eine kleine Flamme daraus hervorzüngelte. Der Präfekt war außer sich vor Freude. Der Anblick der Flamme vertrieb seine Schmerzen und seine Müdigkeit. Liu Pu hielt den Zunder an das Gras, doch das wollte nicht so leicht Feuer fangen. Die schwache Flamme konnte jeden Moment wieder ausgehen. Liu Pu langte in das Gras und rührte darin mit dem Zunder, bis die Flamme stärker wurde und das Ganze sich endlich hell entzündete. Weißer Rauch stieg auf, begleitet von einem beißenden Geruch. Qian Ding war gerührt vor Erleichterung. Der Rauch wurde immer dichter, man hätte ihn geradezu mit Händen greifen können. Endlich loderte mit einem lauten Knall das Feuer auf und der weiße Rauch verpuffte. Die Flammen erhellten die weite Ebene. Die drei Tiere schnaubten, wedelten mit den Schweifen und drängten sich näher an das Feuer heran. Sie schienen zu lächeln und ihre Augen leuchteten hell wie Kristalle. Unwirklich und überlebensgroß wirkten ihre langen Köpfe. Jetzt konnte der Präfekt auch seinen Hut erkennen. Er thronte, wie eine schwarze Henne beim Eierausbrüten, auf einem Grashaufen. Er wies Chunsheng an, ihm den Hut zu bringen. Er war reichlich ramponiert, voller Erde und Grashalme. Die kristallenen Rangabzeichen hingen traurig herab, und die beiden Pfauenfedern waren abgebrochen. Das ist kein gutes Omen, dachte Qian Ding. Doch dann besann er sich. Ach, zum Teufel! Wenn er eben von seinem Pferd zu Tode geschleift worden wäre, was hätten ihn da noch gute und schlechte Vorzeichen interessiert! Er setzte sich den Hut auf, nicht etwa, um seine Würde wiederzuerlangen, sondern um sich besser vor der Kälte zu schützen. Seine dem Feuer zugewandte Vorderseite erwärmte sich schnell, aber sein Rücken fühlte sich noch immer kalt wie Stahl an. Die plötzliche Wärme bewirkte ein Stechen und schmerzhaftes Prickeln auf der eisigen Haut. Er zog sich etwas vom Feuer zurück, doch das unangenehme Gefühl ließ nicht nach. Er stand auf und drehte sich mit dem Rücken zum Feuer. Doch kaum hatte sich sein Rücken erwärmt, war seine Vorderseite schon wieder kalt. Also drehte er sich wieder um, und so drehte und wendete er sich in einem fort, bis die Lebensgeister langsam wieder in seinen Körper zurückkehrten und seine Stimmung sich aufhellte.
Seine Knöchel taten immer noch weh, schienen aber nicht ernsthaft verletzt zu sein. Er sah, wie die drei Tiere im Schein des Feuers Gras fraßen. Die Geräusche, die sie dabei machten, schienen ungewöhnlich laut zu sein. Das weiße Pferd wedelte mit seinem Schweif, der an ein großes Bündel silbrigglänzender Seidenfäden erinnerte. Die Flammen wurden allmählich niedriger und auch das Knistern wurde immer leiser. Züngelnd breiteten sich kleine Flammen über dem Boden aus, wie
Weitere Kostenlose Bücher