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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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davon aus, war immer davon ausgegangen, dass sie beide in Bezug auf diese Angelegenheit der gleichen Meinung waren, das heißt, dass es eine schmutzige Sache war, über die man weder vorher noch hinterher sprach und der man im währenden keine Beachtung schenkte. Dass die Kinder erst nach einiger Zeit kamen, nahm sie als Gottesurteil hin, denn nur er allein wusste von den Sünden ihres bisherigen Lebens; die Schuld dafür, dass es beide Male Mädchen waren, gab sie nicht Allah, sondern dem kraftlosen Samen, den sie von ihrem unmännlichen Gemahl empfangen hatte, eine Haltung, der sie mit großem Nachdruck und zum Erschrecken der Hebamme just während der Geburt der kleinen Anahita Ausdruck verlieh. »Noch ein Mädchen«, stöhnte sie angewidert. »Na ja, wenn ich bedenke, wer das Kind gemacht hat, sollte ich mich glücklich schätzen, dass es nicht eine Küchenschabe oder eine Maus ist.« Nach dieser zweiten Tochter erklärte sie Sufyan, genug sei genug, und befahl ihm, sein Bett in der Diele aufzustellen. Er nahm ihre Weigerung, noch mehr Kinder haben zu wollen, widerspruchslos hin, doch dann merkte sie, dass der Lüstling noch immer glaubte, von Zeit zu Zeit ihr dunkles Zimmer betreten und dieses merkwürdige Ritual von Schweigen und fast völliger Bewegungslosigkeit praktizieren zu können, dem sie sich nur im Namen der Fortpflanzung unterworfen hatte.
    »Was bildest du dir ein?« hatte sie ihn beim ersten Versuch angebrüllt. »Glaubst du, ich mach’ das aus Spaß?»
    Als er endlich in seinen dicken Schädel hineinbekommen hatte, dass sie es ernst meint e, Schluss mit den Faxen, Schluss damit, sie sei eine anständige Frau und keine mannstolle Herumtreiberin, begann er, abends lange wegzubleiben. Das war die Zeit – Hind hatte fälschlicherweise geglaubt, er besuche Prostituierte -, in der er politisch aktiv wurde und zwar nicht irgendwo, o nein, die Intelligenzbestie musste sich den Teufeln anschließen, der Kommunistischen Partei, darunter tat er es nicht. Soviel zu seinen Prinzipien. Teufel waren das, viel schlimmer noch als Huren. Wegen ebendieses Herumdilettierens im Untergrund musste sie Hals über Kopf die Koffer packen und mit den beiden kleinen Kindern im Schlepptau nach England abreisen; wegen dieses ideologischen Hokuspokus’ musste sie all die Schmach und Schande der Einwanderungsformalitäten erdulden, und wegen dieses Teufelszeugs saß sie nun für immer in diesem England fest und würde ihr Dorf nie wiedersehen. »England«, sagte sie einmal zu ihm, »ist deine Rache an mir, weil ich dir nicht erlaube, deine obszönen Handlungen an meinem Körper zu vollziehen.« Er hatte nicht geantwortet, doch Schweigen bedeutet Zustimmung.
    Und womit verdienten sie in diesem Vilayet ihres Exils, diesem Jukeh ihres rachsüchtigen, sexbesessenen Mannes ihren Lebensunterhalt? Womit? Etwa mit seiner Belesenheit?
    Mit seinem Gitanjali, den Eklogen oder diesem Stück Othello, das, wie er erklärte, eigentlich Attallah oder Attaullah hieß, der Autor könne nicht buchstabieren, was für ein Schriftsteller war das überhaupt? Mit: ihren Kochkünsten. »Shaandaar«, wurden sie gepriesen. »Hervorragend, ausgezeichnet, köstlich.« Aus ganz London kamen die Leute, um ihre himmlischen Samosas, ihr Bombay Chaat, ihre paradiesischen Gulab Jamans zu essen. Was gab es für Sufyan zu tun? Kassieren, den Tee servieren, von hier nach dort laufen, sich trotz seiner Bildung wie ein Diener benehmen. O doch, natürlich war er bei den Gästen beliebt, seine gewinnende Art ließ nie nach, aber in einem Restaurant ist es nicht die Konversation, für die man am Ende bezahlt. Jalebis, Barfi, Menü des Tages. Wie hatte sich alles verändert! Jetzt war sie der Chef. Sieg!
    Tatsache war aber auch, dass sie, Köchin und Ernährerin, verantwortliche Architektin d es Erfolgs des Café Shaandaar - der sie schließlich in den Stand versetzt hatte, das ganze viergeschossige Gebäude zu kaufen und die Zimmer zu vermieten -, dass sie diejenige war, die den Pesthauch des Scheiterns ausatmete wie schlechten Mundgeruch. Während Sufyan noch immer funkelte, wirkte sie erloschen, wie eine Glühbirne mit gerissenem Faden, wie ein verglühter Stern, wie eine Flamme. Wieso? Warum, da doch Sufyan, dem Beruf, Schüler und Anerkennung versagt waren, herumtollte wie ein junges Lamm und sogar anfing, zuzunehmen, und im Großen London zulegte, was er zu Hause nie getan hatte; warum, da die Macht aus seinen Händen genommen und in die ihren gelegt war, benahm

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