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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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tragischerweise den Tod gefunden. Und um ihren Gefühlen von unterdrückter Erschöpfung und Verzweiflung Luft zu machen, brüllte sie ihre Töchter an. Die ältere schor sich aus Rache das Haar und trug so aufreizend enge Hemden, dass die Brustwarzen sich durch den Stoff bohrten.
    Das Erscheinen eines ausgewachsenen Teufels, eines gehörnten Ziegenbockmannes, war, im Lichte des vorstehend Gesagten, nun wirklich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, oder jedenfalls beinahe.
     
    Die Bewohner des Shaandaar versammelten sich in der nächtlichen Küche, um eine improvisierte Krisenkonferenz abzuhalten. Während Hind Verwünschungen in die Hühnersuppe schleuderte, führte Sufyan Chamcha an einen Tisch, stellte dem armen Kerl einen Aluminiumstuhl mit blauem Plastiksitz hin und eröffnete die nächtliche Sitzung. Ich freue mich, mitteilen zu können, dass der verbannte Lehrer in bester pädagogischer Manier von den Lamarckschen Theorien sprach.
    Nachdem Jumpy die unglaubliche Geschichte von Chamchas Fall vom Himmel erzählt hatte - der Protagonist selbst war viel zu vertieft in Hühnersuppe und sein Unglück, um selbst zu sprechen -, kam Sufyan, an den Zähnen saugend, auf die letzte Ausgabe von Über die Entstehung der Arten zu sprechen, »in der sogar der große Charles die Auffassung akzeptiert, dass unter extremen Bedingungen, zwecks Überleben der Gattung, Mutationen möglich sind; was macht es da schon, wenn seine Jünger, allemal darwinistischer als Darwin selbst, posthum die Lamarcksche Ketzerei zurückwiesen und ausschließlich die natürliche Auslese gelten ließen, wobei ich zugeben muss , dass diese Theorie sich nicht auf das Überleben einzelner Exemplare bezieht, sondern nur auf die Gattung als Ganzes; und was das Wesen der Mutation angeht, so besteht das Problem darin, ihren konkreten Nutzen zu verstehen.«
    »Pahaps«, Anahita Sufyan, die Augen gen Himmel erhoben, die Wange auf die Handfläche gestützt, unterbrach diese Überlegungen, »gib’s auf. Die Frage ist doch: wie konnte er sich in so ein, so ein« - voller Bewunderung - »Monster verwandeln.«
    Woraufhin der Teufel selbst von seiner Hühnersuppe aufblickte und rief: »Nein, bin ich nicht. Ich bin kein Monster. O nein, wirklich nicht!« Seine Stimme, die aus abgrundtiefem Kummer emporzusteigen schien, berührte und erschreckte das jüngere Mädchen, es lief zu ihm hinüber, streichelte ungestüm die Schulter der elenden Kreatur und sagte um Wiedergutmachung bemüht: »Natürlich nicht, entschuldige, natürlich finde ich nicht, dass du ein Monster bist, du siehst halt nur so aus.«
    Saladin Chamcha brach in Tränen aus.
    Mrs. Sufyan, entsetzt über den Anblick ihrer jüngeren Tochter, die diese Kreatur tatsächlich mit Händen berührte, wandte sich, mit einer Suppenkelle herumfuchtelnd, an die Gäste im Nachtgewand zwecks Unterstützung. »Wie soll man das tolerieren? Eine Gefahr für Ehre und Sicherheit junger Mädchen. Und das in meinem Haus, nein so etwas…!«
    Mishal Sufyan verlor die Geduld: »Herrgott noch mal, Mama.«
    »Herrgott?«
    »Glaubt ihr, es ist was Vorübergehendes?« wollte Mishal, die der empörten Hind den Rücken zugekehrt hatte, von Sufyan und Jumpy wissen. »’Ne Art Besessenheit? Vielleicht hilft Exorzismus oder so?« In ihren Augen leuchteten funkelnd Omen, Shinings, Grule, Nightmares on Elm Street, und ihr Vater, genauso videobegeistert wie jeder Teenager, schien diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht zu ziehen. »Im Steppenwolf«, setzte er an, aber Jumpy wollte davon nichts mehr hören. »Die Sache«, verkündete er, » muss in erster Linie vom ideologischen Standpunkt aus gesehen werden.«
    Das brachte alle zum Schweigen.
    »Was«, sagte er mit eine m kleinen, bedauernden Lächeln, »ist objektiv denn passiert? A: Widerrechtliche Festnahme, Einschüchterung, Gewalt. Zweitens: Ungesetzliche Verlängerung der Haft, dubiose medizinische Experimente im Krankenhaus« - zustimmendes Gemurmel an dieser Stelle, denn in den Anwesenden stiegen Erinnerungen an intravaginale Untersuchungen, Conterganskandale, nicht autorisierte postnatale Sterilisationen auf und, von noch weiter her, das Wissen, wie die Dritte Welt mit Pharmaprodukten überschwemmt wurde, so dass die Anspielungen des Vortragenden sich mit Inhalt füllten - man glaubt ja nur, was man gesehen hat, und zwar nicht nur, was zu sehen ist, sondern was man auch wirklich sehen will - und überhaupt, für die Hörner und Hufe musste es doch eine Erklärung

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