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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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gewürzten Tee brachte, die sich bei den regelmäßigen Ausflügen des Lehrerkollegiums beim Schuldirektor einschmeichelte, die sich mit den Romanen von Bibhutibhushan Banerji und der Metaphysik des Tagore herumplagte, um einem Ehemann würdig zu sein, der aus dem Rig-Veda ebenso mühelos zitieren konnte wie aus dem Koran, den Kriegsberichten des Julius Caesar oder der Offenbarung des Johannes. Damals hatte sie seinen nach allen Seiten hin aufgeschlossenen Geist bewundert und sich in ihrer Küche um einen vergleichbaren Eklektizismus bemüht, hatte gelernt, sowohl die südindischen Dosas und Uttapams als auch die milden Fleischbällchen à la Kaschmir zuzubereiten. Aus ihrer Parteinahme für den gastronomischen Pluralismus entwickelte sich mit der Zeit eine große Leidenschaft, und während sich der freidenkerische Sufyan die kulturelle Mannigfaltigkeit des Subkontinents einverleibte - »Wir wollen doch nicht so tun, als gäbe es hier keine abendländische Kultur; wie könnte sie, nach diesen Jahrhunderten, nicht gleichfalls Teil unseres Erbes sein?« -, kochte und verspeiste seine Frau in immer größeren Mengen das, was er an Nahrungsmitteln Zur Verfügung stellte.
    Sie verschlang die stark gewürzten Gerichte aus Haiderabad und die überkandidelten Joghurtsoßen aus Lucknow, und langsam, weil all diese Speisen ein Zuhause finden mussten , veränderte sich ihr Körper, und sie begann, der weiten hügeligen Landmasse ähnlich zu werden, dem Subkontinent ohne Grenzen, denn Nahrungsmittel überwinden jede Hürde.
    Mr. Muhammad Sufyan nahm indes nicht zu, kein Tola, kein Gramm.
    Mit seiner Weigerung, fett zu werden, fing der ganze Ärger an. Als sie ihm Vorwürfe mac hte - »Schmeckt dir denn nicht, was ich koche? Für wen stehe ich denn die ganze Zeit in der Küche und gehe selbst auf wie ein Hefekloß?« -, blickte er über seine halbgefass te Brille hinweg zu ihr auf (Hind war größer als er) und sagte freundlich: »Zu unseren Traditionen gehört auch das Maßhalten, Begum. Zwei Bissen weniger als man Hunger hat: Selbstverleugnung, Askese.« Was für ein Mann! Alle Antworten, aber unfähig zu einem anständigen Streit.
    Maßhalten war nichts für Hind. Vielleicht, wenn Sufyan sich einmal beklagt hätte, wenn er nur einmal gesagt hätte, ich habe gedacht, ich hätte eine Frau geheiratet, aber heutzutage kann man zwei aus dir machen, wenn er sie herausgefordert hätte! -
    dann vielleicht hätte sie sich zurückgehalten, warum nicht, doch; so lag es an ihm, weil er nicht aggressiv war. Was für ein Mann war er überhaupt, dass er seine fette Frau nicht zu beleidigen verstand? Allerdings hätte Hind ihre Fress gelüste möglicherweise selbst dann nicht unterdrückt, wenn Sufyan mit den erforderlichen Beschimpfungen und flehentlichen Bitten aufgewartet hätte; da er aber nichts dergleichen tat, mampfte sie weiter und war es zufrieden, die Schuld für ihre Figur ganz allein ihm aufzuhalsen.
    Nachdem sie einmal angefangen hatte, ihm etwas vorzuwerfen, stellte sie selbstverständlich fest, dass es noch viele andere Dinge gab, für die sie ihn verantwortlich machen konnte. Sie fand auch ihre Sprache wieder, so dass in der bescheidenen Wohnung des Lehrers regelmäßig die Sorte Standpauke erdröhnte, die seinen Schülern zu halten er viel zu feige war. Beschimpft wurde er vor allem wegen seiner übertrieben hohen Prinzipien, dank derer er, wie Hind ihm vorhielt, ihr niemals gestatten würde, die Frau eines reichen Mannes zu werden; was ließ sich schon von einem Mann sagen, der, als er feststellte, dass ihm ein Monatsgehalt versehentlich doppelt gutgeschrieben wurde, diesen Irrtum prompt seiner Bank zur Kenntnis brachte und das Geld zurückgab? Welche Hoffnung bestand schon für einen Lehrer, der, angesprochen von den reichsten Eltern, sich schlankweg weigerte, für gewisse Dienste beim Korrigieren der Arbeiten ihres Kindes die übliche Zuwendung zu akzeptieren?
    »Aber all das könnte ich verzeihen«, pflegte sie düster zu murren und ließ den Rest des Satzes, wenn da nicht deine beiden wahren Vergehen wären, deine sexuellen und politischen Verbrechen, unausgesprochen.
    Seit ihrer Heirat hatten sie den Geschlechtsakt nur selten vollzogen, in vollständiger Dunkelheit, lautlos, so dass man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören, und fast völlig bewegungslos. Nie wäre es Hind eingefallen, sich zu regen und zu rühren, und da Sufyan die Sache mit einem Minimum an Bewegung hinter sich zu bringen schien, ging sie

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