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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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dass die beiden Töchter des Hadschi Sufyan ihn unter ihre Fittiche genommen hatten, sich um das Biest kümmerten wie nur Schöne es können; und dass er mit der Zeit eine tiefe Zuneigung zu den beiden fasste . Mishal und Anahita waren ihm lange unzertrennlich erschienen, Faust und Schatten, Schuss und Echo, die Jüngere immer bemüht, der hochgewachsenen, lebhaften Schwester nachzueifern, Karatetritte und Wing-Chun-Stöße auszuteilen, in schmeichelhafter Imitation der kompromisslosen Art Mishals. In letzter Zeit hatte er jedoch mit Bedauern eine wachsende Feindseligkeit zwischen den Schwestern bemerkt. Eines Abends stand Mishal an seinem Mansardenfenster und zeigte ihm einige Typen auf der Straße: dort ein alter Sikh, der aus Schock über einen rassistischen Angriff in völliges Schweigen verfallen war; fast sieben Jahre, so hieß es, habe er nicht mehr gesprochen, vorher war er einer der wenigen »schwarzen« Friedensrichter der Stadt gewesen, aber jetzt verkündete er keine Urteile mehr, befand sich stets in Begleitung seiner griesgrämigen Frau, die ihn herablassend und gereizt behandelte, ach, lassen Sie ihn, der sagt nicht mal mehr piep, und dort drüben ein ganz unscheinbarer »kleiner Beamter« (Mishals Ausdruck) auf dem Nachhauseweg, mit einer Aktenmappe und einer Schachtel Bonbons; er war im Viertel bekannt für seine merkwürdige Angewohnheit, allabendlich eine halbe Stunde lang die Wohnzimmereinrichtung umzuräumen, die Stühle in Reihen, getrennt durch einen Mittelgang, aufzustellen und so zu tun, als sei er der Schaffner eines Omnibusses auf dem Weg nach Bangladesch, eine Zwangsvorstellung, bei der seine gesamte Familie mitspielen musste , und nach exakt einer halben Stunde hört er auf, und die übrige Zeit ist er der langweiligste Kerl, den man sich denken kann; und nach ein paar weiteren Beispielen warf die fünfzehnjährige Anahita gehässig ein: »Sie will damit sagen, dass du nicht der einzige Pflegefall bist, hier in der Gegend wimmelt es von Monstern, du brauchst dich nur mal umzuschauen.«
    Mishal hatte die Neigung entwickelt, von der Straße zu sprechen, als handelte es sich um ein mythologisches Schlachtfeld, und als wäre sie selbst, oben an Chamchas Mansardenfenster, der Engel, der die guten und die bösen Taten der Menschen aufzeichnete, wie auch der Würgeengel.
    Von ihr erfuhr Chamcha die Fabeln der neuen Kurus und Pandavas, der weißen Rassiste n und schwarzen »Selbsthilfe« - oder Schutztruppen, die Stars in diesem modernen Mahabharata, genauer gesagt: Mahavilayet. Dort unter dieser Eisenbahnbrücke schlugen sich die Jungs von der National Front mit den furchtlosen Radikalen von der Socialist Workers Party, »jeden Sonntagnachmittag, zwischen den Schankzeiten«, spottete sie, »und an den übrigen bescheuerten Wochentagen mussten wir die Trümmerhaufen wegschaffen.«
    Dort in dieser Gasse waren die Brickhall Three unter falschen Beschuldigungen verhaftet, zu Geständnissen gezwungen, verschaukelt worden; in jener Seitenstraße war der Mord an dem Jamaikaner Ulysses E. Lee verübt worden, und in dieser Kneipe markierte ein Fleck auf dem Teppich die Stelle, wo Jatinder Singh Mehta seinen letzten Atemzug tat. »Der Thatcherismus zeigt Wirkung«, deklamierte Mishal, während Chamcha, der keine Lust oder auch keine Worte mehr hatte, um sich mit ihr zu streiten, um über Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit zu sprechen, Anahitas wachsenden Zorn beobachtete. »Gibt keine heißen Schlachten mehr«, klärte Mishal ihn auf. »Angesagt sind Aktionen in kleinerem Rahmen und die Verherrlichung des Individuums, richtig? Anders gesagt: fünf oder sechs weiße Schweine ermorden uns, jeweils einen Einzelnen.« In diesen Tagen patrouillierten die Selbstschutzgruppen auf der nächtlichen Straße, rechneten stets mit Gewalt. »Es ist unsere Rennbahn«, sagte Mishal Sufyan über diese Straße, auf der nicht ein einziger Grashalm zu sehen war. »Sollen sie kommen und sie sich nehmen, wenn sie’ schaffen.«
    »Schau mal an«, brach es aus Anahita heraus. »Wie vornehm sie ist! Ganz die feine Dame! Stellt euch vor, was Mama sagen würde, wenn sie davon wüsste .« »Wenn sie was wüsste , du kleines Fliegen -« Aber Anahita ließ sich nicht einschüchtern. »O ja«, schrie sie. »O ja, wir wissen es, glaub ja nicht, dass wir nicht Bescheid wissen. Wie sie jeden Sonntagvormittag zu den Bhangra Beatshows geht und sich auf der Toilette in diese ordinären Kla motten schmeißt und mit wem sie in der

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