Die Satanischen Verse
fuchsteufelswild: Hanif, dieser unreife Bastard, der wahrscheinlich Kerben in seinen Schwanz schnitt, um den Überblick über die Zahl seiner Eroberungen nicht zu verlieren, dieser Johnson mit seinem Ehrgeiz, sein Volk zu vertreten, das er schon beschiss , noch ehe es volljährig war… sah er denn nicht, dass Mishal mit ihrem allwissenden Körper bloß ein, bloß ein, Kind war? Nein, war sie nicht… Verflucht soll er sein, verflucht dafür (und hier erschrak Jumpy über sich), dass er der Erste war.
Auf dem Weg zu seiner Geliebten, versuchte Jumpy, sich klarzumachen, dass seine Wut auf Hanif, seinen Freund Hanif, in erster Linie - wie sollte er es ausdrücken? - linguistischer Natur war. Hanif beherrschte die Sprachen, auf die es ankam: die Sprache der Soziologen, der Sozialisten, der schwarzen Radikalen, der Anti-Anti-Anti-Rassisten, der Demagogen, der Volksredner, der Prediger: die Vokabulare der Macht. Aber du Dreckskerl wühlst in meinen Schubladen herum und lachst über meine törichten Gedichte. Das eigentliche Problem der Sprache: wie sie beugen, gestalten, wie sie zu unserer Freiheit machen, wie ihre vergifteten Quellen zurückerobern, wie den Fluss der Worte der Zeit des Blutes lenken: von all dem hast du keinen Schimmer. Wie schwer dieser Kampf, wie unausweichlich die Niederlage. Niemand wird mich zu irgendetwas wählen. Keine Machtbasis, keine Wählerschaft: nur der Kampf mit den Wörtern. Aber er, Jumpy, musste sich auch eingestehen, dass sein Neid auf Hanif ebenso in der Tatsache wurzelte, dass der andere die Sprache des Begehrens besser beherrschte. Mishal Sufyan war schon etwas, eine hochgewachsene röhrenförmige Schönheit, aber er hätte nicht gewusst wie, selbst wenn er es sich vorgenommen hätte, er hätte es niemals gewagt, Sprache ist Mut: die Fähigkeit einen Gedanken zu fassen, ihn auszusprechen und so Wirklichkeit werden zu lassen.
Als Pamela Chamcha ihm öffnete, erfuhr er, dass ihr Haar über Nacht schlohweiß geworden war und sie auf dieses unerklärliche Malheur damit reagiert hatte, dass sie sich den Kopf kahlschor und ihn in einem lächerlichen burgunderroten Turban versteckte, den abzunehmen sie sich weigerte.
»Einfach so«, sagte sie. »Man kann nicht ausschließen, dass ich verhext worden bin.«
Derlei ließ er nicht gelten. »Oder war es eine Reaktion, wie verzögert auch immer, auf die Nachricht von dem veränderten, aber doch existenten Zustand deines Mannes?«
Auf halber Höhe der Treppe blieb sie stehen, wandte sich zu ihm um und wies mit theatralischer Geste auf die offene Wohnzimmertür: »Wenn das so ist«, rief sie triumphierend,
»warum ist dann dasselbe mit dem Hund passiert?«
In dieser Nacht hätte er ihr vielleicht gesagt, dass er aufhören wollte, dass sein Gewissen es nicht länger zuließ, er hätte vielleicht ihre Wut ertragen und mit dem Widerspruch gelebt, dass eine Entscheidung zugleich aufrichtig und unmoralisch (weil grausam, einseitig, egoistisch) sein konnte; aber als er das Schlafzimmer betrat, fasste sie sein Gesicht mit beiden Händen und gestand - und beobachtete ihn dabei genau, um zu sehen, wie er die Nachricht aufnahm -, dass sie ihn bezüglich empfängnisverhütender Vorkehrungen belogen hatte. Sie war schwanger. Wie sich herausstellte, traf sie einseitige Entscheidungen sehr viel besser als er und hatte sich einfach von ihm das Kind geholt, das ihr Saladin Chamcha nicht hatte geben können. »Ich habe es gewollt«, rief sie trotzig und aus nächster Nähe, »und ich werde es bekommen.«
Ihr Egoismus war schneller gewesen als der seine. Jumpy bemerkte, dass er erleichtert war; befreit von der Notwendigkeit, moralische Entscheidungen zu treffen und sich demgemäß zu verhalten - wie konnte er sich jetzt von ihr trennen? -, verscheuchte er solche Gedanken aus seinem Kopf und wehrte sich nicht, als sie ihn, sanft aber unmissverständlich , in Richtung Bett stieß.
Ob sich der beständig weiter ummodelnde Saladin Chamcha in eine Art Science-Fiction- oder Horrorvideo-Monster verwandelte, in eine zufallsbedingte Mutation, die kraft natürlicher Auslese bald von der Bildfläche verschwunden sein würde, oder in ein Avatara des Herrn der Hölle - wie auch immer: Tatsache ist (und in dieser Angelegenheit empfiehlt es sich, vorsichtig vorzugehen, von einem unwiderlegbaren Beweis zum nächsten, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, bis wir auf dem endlosen, gewundenen, steinigen Weg der Erkenntnis - unanfechtbar - Zentimeter vor dem Ziel stehen),
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