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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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dann aufklären ließen, wenn man den neuen Okkultismus unter der schwarzen Bevölkerung, der den Behörden viel Kopfzerbrechen bereitete, einmal unter die Lupe nähme. Also wurden die Ermittlungen gegen »Gefärbte«, Festnahmen und Verhöre, ebenso intensiviert wie Razzien von Etablissements, die im Verdacht standen, »okkultistische Zellen zu beherbergen«. Auch wenn niemand es zugab oder anfänglich überhaupt verstand, jeder, ob Schwarz Braun Weiß, stellte sich die Traumfigur jetzt als eine reale vor, als ein Wesen, das unter Umgehung der üblichen Kontrollen ins Land eingereist war und jetzt frei in der Stadt herumlief. Illegaler Einwanderer, geächteter König, mieser Verbrecher oder Held der Minderheiten, Saladin Chamcha wurde allmählich wahr. In der Stadt kursierten alle möglichen Geschichten: eine Krankengymnastin wollte einer Sonntagszeitung ein surrealistisches Märchen andrehen, das man ihr aber nicht abnahm, doch die Leute sagten, kein Rauch ohne Feuer; es war eine prekäre Situation, und bis zur Razzia im Café Shaandaar, bei der alles auffliegen würde, konnte es nicht mehr lange dauern. Priester mischten sich ein, reicherten die Mischung mit einem weiteren instabilen Element an: die Verknüpfung des Wortes schwarz mit der Sünde Gotteslästerung. Saladin Chamcha in seiner Dachkammer wuchs langsam.
     
    Er entschied sich für Lukrez und gegen Ovid. Die wandelbare Seele, die Veränderlichkeit allen Seins, des Ichs, jedes kleinsten Atoms. Ein Wesen, das durch das Leben geht, kann sich so weit von sich selbst entfernen, dass es ein anderes wird, getrennt, losgelöst von der Geschichte. Gelegentlich dachte er an Zeeny Vakil in Bombay, diesem anderen Planeten am äußersten Rand der Galaxis: Zeeny, Eklektizismus, Hybridisierung. Der Optimismus dieser Ideen! Die Gewissheiten , auf denen sie gründeten: des Willens, der freien Entscheidung.
    Aber, liebe Zeeny, das Leben passiert einem einfach: wie ein Unfall. Nein: es passiert einem als Folge des eigenen Zustands.
    Keine Wahl, sondern - bestenfalls - ein Prozess , und schlimmstenfalls eine erschreckende, totale Verwandlung. Das Neue: er hatte nach einer anderen Wesensart gestrebt, doch diese hatte er bekommen.
    Auch Verbitterung und Hass , all diese unfeinen Dinge. Er würde in sein neues Ich hineinschlüpfen, er würde sein, was er geworden war: laut, stinkend, ekelhaft, überdimensional, grotesk, unmenschlich, mächtig. Ihm war, als könne er mit ausgestrecktem kleinen Finger Kirchtürme umstürzen, mit der Kraft, die in ihm wuchs, dem Zorn. Kräfte.
    Er suchte jemanden, dem er die Schuld geben konnte. Auch er träumte, und in seinen Träumen schwamm eine Gestalt, ein Gesicht auf ihn zu, gespensterhaft noch, undeutlich, aber eines Tages, bald, würde er sie bei ihrem Namen rufen können.
    Ich bin, akzeptierte er, was ich bin.
    UNTERWERFUNG.
    Seine Kokonexistenz im Shaandaar Bed and Breakfast platzte an jenem Abend, als Hanif Johnson hereinkam und schrie, Uhuru Simba sei als Omamörder festgenommen worden, und man wolle ihm auch die Sache mit der Schwarzen Magie anhängen, er sei der Voodoopriester Baron-Samedi Sündenbock, und zu den Vergeltungsschlägen - Überfälle, Sachbeschädigung, das Übliche - werde bereits ausgeholt.
    »Schließt eure Türen ab«, sagte Hanif zu Sufyan und Hind.
    » Heute Nacht geht’s rund.«
    Hanif stand mitten im Café und verließ sich voll auf die Wirkung seiner Nachricht, als Hind auf ihn zukam und ihm mit aller Kraft ins Gesicht schlug; der Hieb erwischte ihn so unvorbereitet, dass er, mehr aus Überraschung als vor Schmerz, tatsächlich ohnmächtig wurde. Er wurde von Jumpy ins Leben zurückgerufen, der ihm ein Glas Wasser ins Gesicht schüttete, wie er es aus Filmen gelernt hatte, aber inzwischen war Hind schon dabei, seine Büroeinrichtung aus dem Fenster auf die Straße zu werfen, Farbbänder und rote Kordeln, wie er sie zum Verschnüren von Dokumenten verwandte, flatterten festlich in der Luft. Anahita Sufyan, außerstande, den teuflischen Stichen ihrer Eifersucht länger zu widerstehen, hatte Hind von Mishals Verhältnis mit dem vielversprechenden Anwalt-Politiker erzählt, woraufhin es für Hind kein Halten mehr gegeben hatte, all die Jahre der Demütigung waren aus ihr herausgebrochen, nicht genug, dass sie in diesem Land mit lauter Juden und Fremden festsaß, die sie mit den Negern über einen Kamm scherten, nicht genug, dass ihr Mann ein Schwächling war, der sich als Hadschi aufführte, aber im eigenen Haus

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