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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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mit denen ihr kleiner, glatzköpfiger, nervöser Mann verkehrte, »ihr Typ« waren, groß und drall, »aber außerdem noch laut. Sie taten, was er wollte, sagten Dinge, die ihn in Fahrt brachten, schauspielerten so gut sie konnten. Es war sein Enthusiasmus, auf den sie abfuhren, und vielleicht auch sein Scheckbuch. Er war ein Kavalier der alten Schule und machte großzügige Geschenke.«
    Otto hatte seine Tochter »Perle von unschätzbarem Wert« genannt und sich eine große Zukunft für sie ausgemalt, als Konzertpianistin etwa oder, wenn es damit nichts würde, als Muse. »Deine Schwester ist offen gestanden eine Enttäuschung für mich«, sagte er drei Wochen vor seinem Tod, in diesem Arbeitszimmer voller Großer Bücher und Picabia-Zeugs - ein ausgestopfter Affe, der, wie er behauptete, ein »erster Entwurf« war zu dem berühmten Cézanne-Portrait, Rembrandt-Portrait, Renoir-Portrait, zahlreiche mechanische Apparate, darunter auch sexuelle Stimulatoren, die kleine Elektroschocks verabreichten, sowie eine Erstausgabe von Jarrys König Ubu. »Elena hat Bedürfnisse anstelle von Gedanken.« Er anglisierte ihren Namen - aus Yelyena wurde Eläyna -, so wie es sein Ein fall gewesen war, » Alleluja « zu »Allie« zu verkürzen und aus seinem eigenen Namen, Cohen aus Warschau, einen bereinigten Cone zu machen.
    Erinnerungen an die Vergangenheit deprimierten ihn; er las keine polnische Literatur, kehrte Herbert, Milosz, und »jüngeren Burschen« wie Baranczak den Rücken, weil für ihn die Sprache durch die Geschichte auf nicht wiedergutzumachende Weise verschmutzt worden war. »Ich bin jetzt Engländer«, pflegte er mit seinem starken osteuropäischen Akzent stolz zu sagen.
    »Der lahme Mittelfeldspieler! Quatsch! Königinmutter! Leck mich am Arsch!« Trotz seiner Vorbehalte schien er hochzufrieden, ein, wenn auch pantomimisches, Mitglied des englischen Kleinadels zu sein. Im Nachhinein war es wohl eher so, dass er sich der Verwundbarkeit seiner Vorstellung nur allzu bewusst war, weshalb die schweren Vorhänge fast ständig zugezogen waren, damit er nicht, aufgrund der Widersprüchlichkeit allen Seins, draußen anstelle der vertrauten Moscow Road Monster oder Mondlandschaften sah.
    »Er war ein ausgesprochener Schmelztiegelmensch«, sagte Alicja und nahm eine große Port ion Tsimmis in Angriff. »Als er unseren Namen änderte, sagte ich zu ihm, Otto, das ist nicht notwendig, wir sind hier nicht in Amerika, sondern in London, aber er wollte alles vergessen, sogar dass er Jude war, entschuldige, aber ich weiß es. Diese Kämpfe mit dem Gemeindevorstand! Immer sehr kultiviert, sehr verbindlich in der Form, aber knallhart in der Sache.« Nach seinem Tod kehrte sie schnurstracks zu Cohen, der Synagoge, Chanukka und Bloom’s zurück. »Kein Pseudoleben mehr«, schmatzte sie und fuchtelte plötzlich mit der Gabel herum. »Dieser Film. Ich war verrückt danach. Lana Turner, stimmt’s? Und Mahalia Jackson, die in einer Kirche singt.«
    Otto Cone war über siebzig, als er sich durch einen Sprung in einen leeren Liftschacht das Leben nahm. Das war ein Thema, über das Alicja, die bereitwillig die meisten Tabus ansprach, nicht reden wollte: warum lebt einer, der die Vernichtungslager überlebt hat, noch vierzig Jahre weiter, um dann zu vollenden, was die Bestien nicht geschafft haben? Triumphiert am Ende das Große Böse, gleichgültig, wie sehr man es auch bekämpfen mag? Lässt es einen Eissplitter im Blut zurück, der sich durch den Körper arbeitet, bis er im Herzen steckt? Oder, schlimmer noch: kann der Tod eines Menschen unvereinbar mit seinem Leben sein? Allie, die auf die Nachricht vom Tod ihres Vaters mit Empörung reagiert hatte, schleuderte ihrer Mutter solche Fragen entgegen. Die, steinernen Gesichts unter einem breitkrempigen schwarzen Hut, nur sagte: »Du hast seinen Mangel an Selbstbeherrschung geerbt, meine Liebe.«
    Alicja trennte sich nach Ottos Tod von ihren eleganten Kleidern und Gebärden, die ihre Gaben auf dem Altar seiner Integrationsgier gewesen waren, ihr Versuch, ihm eine vornehme Grande Dame zu sein. »Puh!« gestand sie Allie.
    »Was für eine Erleichterung, meine Liebe, zur Abwechslung mal schlampig herumlaufen zu können.« Sie trug ihr graues Haar jetzt zu einem widerspenstigen Knoten gebunden, hatte sich im Supermarkt eine Reihe gleichaussehender Kleider mit Blumenmuster besorgt, schminkte sich nicht mehr, ließ sich ein schlecht sitzendes Gebiss anfertigen, pflanzte Gemüse im Garten, der nach

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