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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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hopst da, ohne sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen? »Ihr seid Klasse, Leute!« Unser Gastgeber spricht: Schwadroneur, Festredner, Didschäy Nonpareil - der tänzelnde Pinkwalla, dessen Lichteranzug rhythmisch errötet. Gewiss , er ist außergewöhnlich, ein Albino von zweizehn, das Haar von hellstem Rosa, das Weiße in seinen Augen ebenso, seine Gesichtszüge unverkennbar indisch, die Hakennase, lange dünne Lippen, ein Gesicht wie aus einem Hamza-Nama-E’dd.
    Ein Inder, der Indien noch nie gesehen hat, Ostindienfahrer von den Westindischen Inseln, weißer Schwarzer. Ein Stern.
    Noch immer tanzen die bewegungslosen Figuren zwischen den sich wiegenden Schwestern, der sich rüttelnden und schüttelnden Jugend. Was sind sie? Na, Wachsfiguren, was sonst. Wer sind sie? Die Geschichte. Schaut, da ist Mary Seacole, die auf der Krim so etwas wie eine Lady mit der Wunderlampe war, nur dass man sie, weil sie dunkel ist, wegen Florences Kerze nicht sieht. Und da drüben! Ein Abdul Karim, alias Der Munshi, den Königin Victoria protegieren wollte, der aber von rassistischen Ministern übers Ohr gehauen wurde. Sie alle sind hier, tanzen reglos in heißem Wachs: rechts der schwarze Hofnarr des Septimius Severus, links der Barbier von George IV, im Tanz mit der Sklavin Grace Jones. Ukawsaw Gronniosaw, der afrikanische Prinz, der für drei Ellen Tuch verkauft wurde, tanzt nach alter Art mit dem Sklavensohn Ignatius Sancho, der 1782 als erster afrikanischer Schriftsteller in England veröffentlichen konnte. Die Wanderer der Vergangenheit, ebenso Ahnen der lebenden Tänzer wie deren eigenes Fleisch und Blut, drehen sich still im Kreis, während Pinkwalla auf der Bühne tobt ansagt rapt, Now-mi-feel-indignation-when-dem-talk-immigration-when-dem-make-insmuation-we-no-part-a-denation-an-mi-make-proclamation-a-de-true-situation-how-we-make-contribution-since-de-Rome-Occupation und in einem anderen Teil des überfüllten Raums, in grässliches grünes Licht getaucht, kauern und schneiden Wachsschurken Grimassen: Mosley,- Powell, Edward Long, all die lokalen Avataras von Legree. Und jetzt erhebt sich ein Gemurmel im Bauch des Clubs, schwillt an, wird ein einziges Wort, immer wieder skandiert. »Schmelzen«, verlangen die Gäste, »schmelzen, schmelzen, schmelzen.«
    Pinkwalla greift das Stichwort der Menge auf. So-it-melt-down-time-when-de-men-of-crime-gonna-get-in-line-for-some-hell-fire-fryin, und dann wendet er sich der Menge zu, die Arme ausgebreitet, die Füße im Rhythmus bewegend, und fragt:
    »Wer soll’s denn sein? Wen wollt ihr seh’n?« Namen werden gebrüllt, konkurrieren, verschmelzen, bis die versammelte Mannschaft wieder vereint ist und ein einziges Wort ruft.
    Pinkwalla klatscht in die Hände. Hinter ihm teilt sich ein Vorhang, Assistentinnen in pinkfarben glänzenden Shorts und Trikots rollen einen gruseligen Schrank heraus: mannshoch mit einer Glasschei be vorne, innen beleuchtet – der Mikrowellenherd, inklusive He ißem Stuhl, den Stammgästen als Höllenküche bekannt. »Okay!« brüllt Pinkwalla. »Es kann losgehen!«
    Assistentinnen gehen auf die Galerie der Hass figuren zu, stürzen sich auf das Opfer des heutigen Abends, die, um die Wahrheit zu sagen, am häufigsten auserlesen wird; mindestens dreimal die Woche. Ihre dauergewellte Frisur, ihre Perlen, ihr blaues Kostüm. Maggie-Maggie-Maggie, bellt die Menge.
    Brenn-brenn-brenn. Die Puppe - die Schießbudenfigur - wird auf den Heiss en Stuhl geschnallt. Pinkwalla drückt auf den Schalter. Und ach, wie schön sie dahinschmilzt, von innen nach außen, sich auflöst. Dann ist sie nur noch eine Lache, und ekstatisch seufzt die Menge: geschafft. » Schluss für heute«, ruft Pinkwalla. Musik erobert die Nacht zurück.
     
    Als Pinkwalla, der Didschäy, sah, was im Schutze der Dunkelheit auf seinen Transporter kletterte, den zum Hinterausgang des Shaandaar zu bringen, seine Freunde Hanif und Mishal ihn überredet hatten, erfüllte Angst vor dem Obi sein Herz; andererseits stellte er mit Freude fest, dass der mächtige Held seiner zahlreichen Träume ein Lebewesen aus Fleisch und Blut war. Er stand auf der anderen Straßenseite, unter einer Laterne, fror, obwohl es nicht besonders kalt war, und rührte sich eine halbe Stunde nicht von der Stelle, während Mishal und Hanif auf ihn einredeten, er braucht ein Dach über dem Kopf, wir müssen an seine Zukunft denken. Dann zuckte er die Schultern, ging hinüber zum Transporter und ließ den Motor an. Hanif setzte

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