Die Satanischen Verse
vereinbaren Elementen besteht, dass alles einen Sinn ergibt, dann lauf zum Telefon und lasse den Zwangsjackenschneider kom men«, riet er ihr, wobei er den Eindruck zu erzeugen vermochte, als habe er, bevor er zu seiner Schlussfolgerung gelangte, mehr als nur einen Planeten bereist. »Die Welt ist ein einziger Widerspruch, vergiss das niemals. Gaga. Gespenster, Nazis, Heilige, alle leben zur gleichen Zeit; an einem Ort Glückseligkeit, und nur ein Stück weiter das Inferno. Einen unzivilisierteren Ort kann man sich nicht vorstellen.« Städte aus Eis auf dem Dach der Welt hätten Otto nicht durcheinandergebracht. Er war, wie seine Frau Alicja, Allies Mutter, aus Polen emigriert, Überlebender eines Lagers, dessen Name während Allies Kindheit kein einziges Mal erwähnt wurde. »Er wollte so tun, als hätte es nie existiert«, erzählte Alicja später ihrer Tochter. »Er war in vielerlei Hinsicht unrealistisch. Aber ein guter Mensch, der beste, den ich kannte.« Sie lächelte dabei in sich hinein, erinnerte sich seiner mit einer Nachsicht, die sie ihm zu Lebzeiten, da er häufig unausstehlich gewesen war, nicht hatte entgegenbringen können. Zum Beispiel: Er entwickelte einen hasserfüllten Antikommunismus, der zu extrem peinlichen Verhaltensweisen führte, besonders zu Weihnachten, wenn dieser Jude darauf bestand, mit seiner jüdischen Familie und anderen diesen - wie er es nannte -»englischen Ritus« zu feiern, zum Zeichen des Respekts für ihr neues »Gastgeberland«, und dann (aus der Sicht seiner Frau) alles verdarb, indem er in den Salon platzte, wo die versammelte Mannschaft sich bei glühendem Kaminfeuer, brennenden Weihnachtskerzen und Brandy entspannte, und rief: »Der Weihnachtsmann ist tot! Ich habe ihn umgebracht! Ich bin Mao: Geschenke gibt’s nicht! Ha ha ha!«
Allie, auf dem Everest, zuckte zusammen bei der Erinnerung und merkte, dass es das Zucken ihrer Mutter war, das sich auf ihr eiskaltes Gesicht übertragen hatte.
Die Unvereinbarkeit der Lebenselemente: diese Vorstellung (zuweilen erschien sie ihr als der Geist ihres Vaters) klang in einem Zelt in Camp Vier, in achttausendvierhundertzwölf Meter Höhe, banal, als hätte sie durch die Höhe jede Bedeutung, jede Atmosphäre verloren. »Der Everest lässt einen verstummen«, gestand sie Gibril Farishta in einem Bett, über dem ein Baldachin aus Fallschirmseide einen hohlen Himalaja formte.
»Wenn man herunterkommt, hat man das Gefühl, dass es nichts zu sagen gibt, absolut nichts. Man ist in Nichts eingehüllt wie in Töne. Nicht-Sein. Natürlich bleibt es nicht ewig so. Die Welt stürzt früh genug wieder auf einen ein. Was einem den Mund verschließt, ist wohl, dass man etwas Vollkommenes gesehen hat: warum sprechen, wenn einem keine vollkommenen Gedanken, keine vollkommenen Sätze gelingen? Es wäre Verrat an dem, was man erlebt hat. Aber es geht vorbei. Man akzeptiert, dass bestimmte Kompromisse nötig sind, wenn es weitergehen soll.« Ihre ersten gemeinsamen Wochen verbrachten sie überwiegend im Bett: ihr Appetit aufeinander schien unersättlich, sie liebten sich sechs -, siebenmal am Tag.
»Du hast mich aufgetaut«, sagte sie. »Du, mit dem Schinken im Mund. Es war genau so, als ob du zu mir gesprochen hättest, als ob ich deine Gedanken hätte lesen können. Nein, nicht als ob«, verbesserte sie sich, »ich habe sie wirklich lesen können, stimmt’s?« Er nickte: es stimmte. »Ich habe deine Gedanken gelesen und dann einfach das Richtige gesagt«, staunte sie.
»Einfach so. Schwuppdiwupp: die Liebe. Am Anfang war das Wort.«
Ihre Mutter betrachtete diese dramatische Wendung in Allies Leben, die Rückkehr eines verblichenen Liebhabers, eher fatalistisch. »Ich werd’ dir sagen, was ich wirklich gedacht habe, als du mir davon erzählt hast«, sagte sie über der mittäglichen Suppe mit Kreplach bei Bloom’s in Whitechapel. »Ach, du meine Güte, habe ich gedacht, das ist die große Leidenschaft: da muss die arme Allie jetzt durch, das arme Kind.« Alicjas Strategie bestand darin, ihre Gefühle stets im Griff zu haben.
Sie war eine große, füllige Frau mit sinnlichem Mund, aber sie war - wie sie es nannte - »nie laut gewesen«. Sie erzählte Allie freimütig von ihrer sexuellen Passivität und offenbarte ihr, dass Otto »wollen wir mal sagen: sich anderweitig umsah. Er hatte eine Schwäche für die große Leidenschaft, aber es deprimierte ihn immer, dass ich mich nie dafür begeistern konnte.« Es beruhigte sie, dass die Frauen,
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