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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Orphia, »ich verlier’ immer sofort den Kopf.« Eines Nachmittags, es war gerade nicht viel los, hatte sie ihren Arbeitsplatz verlassen und war direkt vor Uriah hingetreten, der dastand und in den Zähnen herumstocherte, und als er den Ausdruck in ihren Augen sah, steckte er den Zahnstocher weg. Von nun an kam er beschwingt zur Arbeit, und auch sie fühlte sich wie im siebten Himmel, wenn sie tagtäglich in den Bauch der Erde hinunterfuhr. Ihre Küsse wurden länger und leidenschaftlicher. Manchmal konnte sie sich nicht von ihm trennen, wenn der Summton ertönte und jemand nach dem Lift verlangte. Uriah musste sie von sich stoßen und zur Ordnung rufen. »Nimm dich zusammen, Mädchen, die Leute.« Uriah fasste seine Arbeit als Berufung auf.
    Er erzählte Orphia von seinem Stolz auf die Uniform, von seiner Befriedigung darüber, im öffentlichen Dienst beschäftigt zu sein, sein Leben der Allgemeinheit zu widmen. Sie fand ihn ein wenig hochtrabend und wollte sagen »Mensch, Un, du bist hier bloß ein Liftboy«, ahnte aber, dass solcher Realismus nicht gut ankäme, und hielt daher ihre eigensinnige Zunge, oder besser gesagt, steckte sie in seinen Mund.
    Aus ihren Umarmungen im Tunnel wurden Kriege. Jetzt versuchte er, ihr zu entkommen, strich sich die Jacke glatt, während sie ihm ins Ohr Biss und die Hand in seine Hose schob.
    »Du bist verrückt«, sagte er, aber sie, ohne innezuhalten, fragte: »Was denn? Schiss ?»
    Natürlich wurden sie erwischt: eine freundliche Dame in Tweedkostüm und Kopftuch hatte sich beschwert. Sie konnten von Glück reden, dass sie nicht entlassen wurden. Orphia hatte man nach oben versetzt, weg von den Aufzügen, und in die Fahrkartenausgabe gesteckt. Schlimmer noch: ihren Job der Bahnhofsschönheit Rochelle Watkins gegeben. »Ich weiß, was Sache ist«, rief sie wütend. »Ich seh’ doch Rochelles Ausdruck, wenn sie hochkommt, ihre Frisur ordnet und so.« Uriah ging Orphia neuerdings aus dem Weg.
    »Keine Ahnung, wie Sie es schaffen, dass ich Ihnen von mir erzähle«, schloss sie unsicher. »Sie sind kein Engel, das steht fest.« Aber so sehr sie sich auch anstrengte, sie war nicht imstande, sich seinem durchdringenden Blick zu entziehen.
    »Ich weiß«, sagte er, »wie es in deinem Herzen aussieht.«
    Er langte durch das Schalterfenster und ergriff ihre Hand, die keinen Widerstand leistete. - Jawohl, das war es, die Kraft ihrer Begierden erfüllte ihn, befähigte ihn, sie ihr zurückzugeben, ermöglichte Taten, erlaubte ihr, zu sagen und zu tun, was sie am stärksten wollte; daran erinnerte er sich, an dieses Verbundensein mit demjenigen, dem er erschien, so dass das Folgende aus ihrer Verbindung resultierte. Endlich, dachte er, sind die Funktionen des Erzengels wiederhergestellt. - Hinter dem Schalter hatte die Angestellte Orphia Phillips die Augen geschlossen, ihr behäbiger und schwerer Körper war auf dem Stuhl zusammengesunken, und ihre Lippen bewegten sich. Und die seinen unisono mit ihren. Jetzt. Es war geschafft.
    In diesem Augenblick stürzte der Bahnhofsvorsteher herein, ein wütendes Männchen mit neun langen, quer über seine Glatze drapierten Haaren, wie ein Kuckuck aus seiner kleinen Tür. »Was wollen Sie denn hier?« fuhr er Gibril an.
    »Verschwinden Sie, bevor ich die Polizei rufe.« Gibril rührte sich nicht von der Stelle. Der Bahnhofsvorsteher sah Orphia aus ihrer Trance aufwachen und begann zu brüllen. »Phillips!
    So was ist mir ja noch nie vorgekommen! Keiner, der Hosen trägt, ist vor Ihnen sicher, ja das ist lächerlich. Mein Lebtag nicht gesehen. Und während der Arbeit eingepennt!« Orphia stand auf, zog ihren Regenma ntel an, nahm ihren Knirps, kam hinter dem Schalter hervor. »Staatseigentum unbeaufsichtigt zu lassen! Sie gehen augenblicklich zurück oder können sich als entlassen betrachten, garantiert!« Orphia ging zur Wendeltreppe, stieg hinunter. Der Vorsteher, seiner Angestellten beraubt, drehte sich um und glotzte Gibril an.
    »Verschwinde!« sagte er. »Zieh Leine! Kriech unter deinen Stein zurück.«
    »Ich warte«, erwiderte Gibril würdevoll, »auf den Aufzug.«
    Als Orphia Phillips am unteren Ende der Treppe angekommen war und um eine Ecke bog, sah sie Uriah Moseley, in der vertrauten Art und Weise an die Sperre gelehnt und hörte Rochelle Watkins vor Entzücken albern lachen.
    Orphia aber wusste , was zu tun war. »Hast du ‘Chelle schon mal deinen Zahnstocher gezeigt, Uri?« flötete sie. »Sie würde ihn bestimmt gern mal

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