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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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göttlichen Verse? Du, ich schwöre, ich war total verunsichert.
    Es ist eine Sache, ein kluges Bürschchen zu sein und zu ahnen, dass hier krumme Geschäfte abgewickelt werden, aber herauszufinden, dass du recht hast, das ist etwas ganz anderes.
    Schau mal, ich habe mein Leben für diesen Mann geändert. Ich habe meine Heimat verlassen, bin durch die Welt gereist, habe mich unter Leuten niedergelassen, für die ich ein schmieriger, feiger Ausländer war, bloß weil ich ihnen das Leben, die sich kein einziges Mal bedankt, aber egal. Ich hatte mir das so vorgestellt: als ich diese e rste winzige Änderung vornahm - weise statt allhörend -, wollte ich dem Propheten den Text vorlesen und er würde sagen, was ist los mit dir, Salman, bist du schwerhörig? und ich würde sagen, na, so was, das ist ja’n Ding, kleiner Flüchtigkeitsfehler, wie konnte ich, und würde die Stelle korrigieren. Aber es ist nicht passiert; und jetzt schrieb ich die Offenbarung, und kein Mensch merkte etwas, und ich hatte nicht den Mut, es zuzugeben. Ich sage dir: ich hatte eine Mordsangst, und ich war auch zu Tode betrübt. Also, ich musste weitermachen. Vielleicht hat er bloß nicht richtig aufgepasst , dachte ich, jeder kann mal einen Fehler machen. Das nächste Mal habe ich was Größeres verändert. Er sagte Christen, und ich schrieb Juden. Das musste er merken; völlig undenkbar, dass nicht. Als ich ihm aber das Kapitel vorlas, nickte er und dankte mir höflich, und ich ging mit Tränen in den Augen aus seinem Zelt. Da wusste ich, dass meine Tage in Yathrib gezählt waren, aber ich musste weitermachen. Ich konnte nicht anders. Es gibt keine größere Verbitterung als die eines Mannes, der feststellt, dass er an ein Gespenst geglaubt hat. Ich würde fallen, das wa r mir klar, aber er würde mit mir fallen. Also machte ich weiter mit meinen Teufeleien, veränderte den Text, bis ich ihm eines Tages meine Zeilen vorlas und sah, wie er die Stirn runzelte und den Kopf schüttelte, als wollte er seine Gedanken klären, doch dann nickte er langsam zustimmend, aber nicht ganz überzeugt. Ich wusste , ich war bis zum Äußersten gegangen, das nächste Mal würde er alles merken. In jener Nacht lag ich wach, hatte sein Schicksal und auch das meine in der Hand.
    Wenn ich meinen Sturz herbeiführte, dann konnte ich auch ihn stürzen. In jener schrecklichen Nacht musste ich mich entscheiden, ob ich lieber Tod und Rache wollte oder ein Leben ohne alles. Wie du siehst, habe ich mich für das Leben entschieden. Vor Tagesanbruch verließ ich Yathrib auf meinem Kamel und ritt, mancherlei Unbill erleidend, das zu erzählen ich mir erspare, zurück nach Jahilia. Und jetzt kommt Mahound triumphierend hierher. Und ich werde mein Leben zu guter Letzt doch noch verlieren. Und er ist viel zu mächtig geworden, als dass ich ihn heute noch vernichten könnte.«
    Baal fragte: »Warum bist du so sicher, dass er dich töten wird?« Salman, der Perser, antwortete: »Sein Wort steht gegen meines.« Nachdem Salman zu Boden gesunken und eingeschlafen war, legte sich Baal auf seine kratzige Strohmatratze, fühlte ein stählernes Band von Schmerzen um seine Stirn und das warnende Flattern seines Herzens. Oft hatte er sich aus Lebensüberdruss einen frühen Tod gewünscht, aber, wie Salman gesagt hatte, von einer Sache zu träumen ist etwas ganz anderes als sie wirklich zu erleben. Schon seit einiger Zeit schien die Welt immer näher zu rücken. Er konnte nicht mehr so tun, als hätte er keine Schwierigkeiten mit den Augen, und ihre Trübung machte sein Leben noch grauer, noch schwere r zu verstehen. All diese Unschärfen, Kon turlosigkeiten: kein Wunder, dass es mit seiner Dichtung bergab gegangen war. Auch auf seine Ohren konnte er sich immer weniger verlassen. Wenn es in diesem Tempo weiterging, würde er, all seiner Sinne beraubt, bald völlig isoliert sein…
    Aber vielleicht würde es nicht soweit kommen. Mahound war unterwegs. Vielleicht würde er nie wieder eine Frau küssen.
    Mahound, Mahound. Warum ist dieser schwatzhafte Trunkenbold zu mir gekommen, dachte er ärgerlich. Was habe ich mit seinem Verrat zu tun? Jeder weiß, warum ich vor Jahren diese Satiren geschrieben habe; er muss es wissen. Wie mir der Grande drohte und mich einschüchterte. Mich kann man nicht dafür verantwortlich machen. Und überhaupt: wo ist er denn, dieser leichtfüßige, spöttische Wunderknabe, der scharfzüngige Baal ? Ich erkenne ihn nicht wieder. Sieh mich an: schwer, plump,

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