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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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kurzsichtig, beinahe taub. Für wen bin ich denn eine Bedrohung? Für niemanden. Er begann, Salman zu schütteln: wach auf! Ich möchte nicht mit dir in Verbindung gebracht werden, wegen dir bekomme ich noch Ärger.
    Der Perser, der breitbeinig auf dem Boden hockte, mit dem Rücken an der Wand, den Kopf schief wie eine Puppe, schnarchte weiter. Baal, von Kopfschmerzen gepeinigt, ließ sich wieder auf sein Lager fallen. Seine Gedichte, überlegte er, worum war es gegangen? was für eine ART IDEE, verdammt, nicht einmal genau erinnern konnte er sich, scheint UNTERWERFUNG heut’, ja, ähnlich, kein Wunder nach der langen Zeit, eine IDEE DER FURCHTSAMKEIT, so jedenfalls lautete der Schluss . Mahound, jede neue Idee muss sich zwei Fragen stellen lassen. Wenn sie schwach ist: wird sie bereit sein, Kompromisse einzugehen? Wir kennen die Antwort. Und jetzt, Mahound, da du nach Jahilia zurückkehrst, ist es Zeit für die zweite: Was wirst du tun, wenn du gewinnst? Wenn deine Feinde deiner Gnade ausgeliefert sind und du über uneingeschränkte Macht verfügst: was dann? Wir alle haben uns verändert, wir alle außer Hind. Die, nach allem, was dieser Trunkenbold erzählt, mehr wie eine Frau aus Yathrib wirkt als eine aus Jahilia. Kein Wunder, dass ihr nicht miteinander ausgekommen seid. Sie wollte weder deine Mutter noch deine Tochter sein.
    Während Baal in den Schlaf sank, überdachte er seine Nutzlosigkeit, sein künstlerisches Scheitern. Nun, da er auf alle öffentlichen Auftritte verzichtete, handelten seine Gedichte vom Verlust: der Jugend, Schönheit, Liebe, Gesundheit, Unschuld, Entschlossenheit, Energie, Zu versicht, Hoffnung. Verlust des Wissens. Verlust des Wohlstands. Verlust von Hind. In seinen Oden wurde er von den Menschen verlassen, und je leidenschaftlicher er nach ihnen rief, desto schneller entfernten sie sich. Die Landschaft seiner Gedichte war noch immer die Wüste, waren die Wanderdünen mit dem Federkleid aus weißem Sand, der von ihren Anhöhen herabgeweht wurde.
    Sanfte Berge, unvollendete Reisen, vergängliche Zelte. Wie vermaß man ein Land, das täglich in eine neue Form geblasen wurde? Solche Fragen ließen seine Sprache allzu abstrakt werden, seine Metaphern allzu unscharf, sein Metrum allzu ungleichmäßig. So schuf er phantastische Formen, löwenköpfige ziegenleibige schlangenschwänzige Unmöglichkeiten, die, sobald sie Gestalt angenommen hatten, sich verändern mussten , so dass Umgangssprachliches in Zeilen von klassischer Reinheit vordrang und Bilder der Liebe stets durch Elemente der Farce entwertet wurden. Niemand interessiert sich für solches Zeug, sagte er sich zum tausendundersten Mal und tröstete sich, schon halb eingeschlafen: Niemand erinnert sich an mich. Vergessenheit bedeutet Sicherheit. Dann setzte sein Herz für einen Schlag aus, und er erwachte, erschrocken, kalt.
    Mahound, vielleicht werde ich dich um deine Rache bringen. Er fand keinen Schlaf in dieser Nacht, hörte auf Salmans rollendes, ozeanisches Schnarchen.
    Gibril träumte von Lagerfeuern:
    Eines Nachts bewegt sich eine berühmte und unerwartete Gestalt zwischen den Feuern im Lager von Mahounds Heer.
    Vielleicht wegen der Dunkelheit, oder vielleicht, weil mit seiner Anwesenheit niemand rechnet, scheint der Grande von Jahilia in diesem letzten Augenblick seiner Macht etwas von seiner früheren Stärke wiedererlangt zu haben. Er ist allein gekommen und wird von Khalid, dem ehemaligen Wasserträger, und Bilal, dem ehemaligen Sklaven, zu Mahounds Quartier geleitet. Dann träumte Gibril von der Heimkehr des Granden: In der Stadt wimmelt es von Gerüchten, und vor dem Haus wartet eine Menschenmenge. Nach einer Weile ist deutlich Hinds zornig laute Stimme zu hören. Dann erscheint Hind auf einem Balkon und fordert die Menge auf, ihre n Mann in Stücke zu reißen. Der Grande tritt neben sie und bekommt von seiner liebenden Gattin links und rechts zwei schallende, demütigende Ohrfeigen. Hind hat erfahren, dass sie, trotz aller Anstrengungen, den Granden nicht hat davon abhalten können, die Stadt Mahound zu übergeben.
    Mehr noch: Abu Simbel hat den Glauben angenommen. Der besiegte Simbel hat viel von seiner jüngsten Kraftlosigkeit verloren. Er lässt sich von Hind ohrfeigen und spricht dann ruhig zu der Menge. Er sagt: Mahound hat versprochen, dass verschont wird, wer sich im Hause des Granden befindet.
    »Kommt also alle herein und bringt eure Familien mit.«
    Hind spricht für die wütende Menge. »Alter Schwachkopf,

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