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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Racheoden deutlich zurückgegangen. Es waren schwere Zeiten.
    Von weit zurückliegenden Gastmählern träumend, stieg Baal die wacklige Holztreppe zu seinem kleinen Zimmer im oberen Geschoß hinauf. Was gab es bei ihm schon zu stehlen. Er war das Messer nicht wert. Er öffnete die Tür, trat ein, als ihn ein Stoß zum Stolpern brachte und er sich die Nase an der Wand blutig schlug. »Töte mich nicht!« kreischte er wie ein Wahnsinniger. »O Gott, bring mich nicht um! Hab Erbarmen!«
    Die andere Hand schloss die Tür. Baal wusste , dass sie, so laut er auch rufen mochte, allein bleiben würden in diesem mitleidlosen Raum, abgeschirmt von aller Welt. Niemand würde ihm zu Hilfe kommen. Er selbst hätte, wenn sein Nachbar geschrien hätte, sein Bett vor die Tür gerückt.
    Das Gesicht des Eindringlings war von der Kapuze seines Gewands verdeckt. Baal wischte sich die blutende Nase ab, kniete nieder, zitterte hilflos. »Ich habe kein Geld«, wimmerte er. »Ich habe nichts.« Jetzt sprach der Unbekannte: »Wenn ein hungriger Hund Futter sucht, dann sucht er nicht in der Hundehütte.« Und nach einer Pause: »Baal. Von dir ist nicht mehr viel übrig. Ich hatte mir mehr erhofft.«
    In Baals Angst mischte sich jetzt auch ein eigenartiges Gefühl von Demütigung. War dies ein wahnsinniger Fan, der ihn umbringen wollte, weil er nicht mehr so kraftvoll schrieb wie früher? Noch immer zitternd, versuchte er es mit Nestbeschmutzung. »Einem Schriftsteller zu begegnen, ist meistens eine Enttäuschung«, sagte er. Der andere ignorierte seine Bemerkung. »Mahound ist unterwegs«, sagte er.
    Diese kurze Feststellung erfüllte Baal mit großem Schrecken.
    »Was hat das mit mir zu tun?« rief er. »Was will er? Es ist schon lange her, eine Ewigkeit, länger als eine Ewigkeit. Was will er denn? Kommst du von ihm, hat er dich geschickt?«
    »Sein Gedächtnis ist so lang wie sein Gesicht«, sagte der Eindringling und schob seine Kapuze zurück. »Nein, ich bin nicht sein Bote. Du und ich, wir haben etwas gemeinsam. Wir haben beide Angst vor ihm.«
    »Du kommst mir bekannt vor«, sagte Baal.
    »Ja.«
    »Deine Aussprache. Du bist ein Ausländer.«
    »›Eine Revolution von Wasserträgern, Einwanderern und Sklaven‹«, zitierte der Fremde. »Deine Worte.«
    »Du bist der Einwanderer.« Baal erinnerte sich. »Der Perser.
    Sulaiman.« Der Perser grinste schief. »Salman«, verbesserte er ihn. »Nicht weise, sondern friedfertig.«
    »Du warst doch einer seiner Vertrauten«, sagte Baal perplex.
    »Je näher du einem Geisterbeschwörer bist«, erwiderte Salman bitter, »desto leichter durchschaust du seine Tricks.«
    Und Gibril träumte:
    In der Oase Yathrib waren die Anhänger des neuen Glaubens, der UNTERWERFUNG, landlos und daher arm.
    Viele Jahre lang lebten sie von Straßenraub, von Überfällen auf die reichen Kamelkarawanen von und nach Jahilia. Mahound hatte keine Zeit für Skrupel, sagte Salman zu Baal, keine Bedenken, was Mittel und Zweck anging. Die Gläubigen lebten in Gesetzlosigkeit, doch in jenen Jahren war Mahound - oder sollte man sagen der Erzengel Gibril? - sollte man sagen Al Lah ? - besessen von dem Gedanken an das Gesetz. Unter den Palmen der Oase erschien Gibril dem Propheten und spuckte Vorschriften, Vorschriften, Vorschriften aus, bis die Gläubigen, sagte Salman, die Aussicht auf weitere Offenbarungen kaum noch ertragen konnten, Vorschriften über alles und jedes, wenn ein Mann einen Furz ließ, sollte er sein Gesicht in den Wind richten, eine Vorschrift, mit welcher Hand man seinen Hintern säubern durfte. Es war, als sollte kein Aspekt des menschlichen Daseins ungeregelt, frei bleiben. Die Offenbarung - der Vortrag-schrieb den Gläubigen vor, wie viel sie essen durften, wie tief sie schlafen sollten und welche Stellungen beim Geschlechtsverkehr göttliche Billigung erhalten hatten: Sodomie und die Missionarsstellung hatten die Zustimmung des Erzengels, während zu den verbotenen Stellungen all jene gehörten, bei denen die Frau über dem Mann war. Des weiteren zählte Gibril die erlaubten und verbotenen Gesprächsthemen auf und spezifizierte die Körperteile, die man nicht kratzen durfte, u nd wenn sie noch so juckten. Er untersagte den Verzehr von Garnelen, jenen bizarren außerirdischen Geschöpfen, die noch kein Gläubiger gesehen hatte, und verlangte, dass Tiere langsam, durch Ausbluten, geschlachtet werden sollten, auf dass sie den Tod in allen Phasen miterlebten und dadurch den Sinn des Lebens verstanden, denn

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