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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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den Haaren nach hinten. »Was für Feinde?« Und Salman nennt einen Namen. Mahound lässt sich tief in seine Kissen sinken, die Erinnerung kehrt zurück. »Baal«, sagt er, und wieder: »Baal, Baal.«
    Zu Khalids großer Enttäuschung wird Salman, der Perser, nicht zum Tode verurteilt. Bilal setzt sich für ihn ein, und d er Prophet murmelt geistesabwesend: Ja, ja, lasst den armen Kerl laufen. O gütige UNTERWERFUNG! Hind ist verschont worden und Salman, und in ganz Jahilia ist nicht eine einzige Tür eingeschlagen, kein alter Feind in den Staub gezerrt worden, um ihn abzustechen wie ein Hühnchen. Dies ist Mahounds Antwort auf die zweite Frage: Was passiert, wenn du gewinnst?
    Nur ein Name lässt Mahound nicht los, tanzt um ihn herum, jung, flink, zeigt mit einem langen, angemalten Finger auf ihn, singt Verse, deren grausame Brillanz ihre Schmerzhaftigkeit ausmacht. In dieser Nacht fragt Khalid den Verkünder, nachdem die Bittsteller gegangen sind: »Denkst du noch immer an ihn?« Mahound nickt wortlos, Khalid sagt: »Ich habe mich von Salman zu seiner Wohnung führen lassen, einem Loch, aber er ist nicht da, er ist untergetaucht.« Wieder ein Nicken und kein Wort. Khalid drängt weiter: »Willst du, dass ich ihn auftreibe? Wäre keine große Sache. Was soll eigentlich mit ihm geschehen? Das? Das?« Khalid streicht mit dem Finger über seine Kehle und stößt ihn dann in den Nabel. Mahound verliert die Geduld. »Du bist ein Idiot«, brüllt er seinen Generalstabschef, den ehemaligen Wasserträger, an. »Kannst du dir nicht einmal was ohne mich ausdenken?«
    Khalid verneigt sich und geht. Mahound schläft ein: sein altes Talent, seine Methode, mit schlechter Laune fertigzuwerden.
     
    Aber Khalid, Mahounds General, konnte Baal nicht finden.
    Trotz Hausdurchsuchungen, Anordnungen, akribischen Nachforschungen: der Dichter war nicht zu schnappen. Und des Propheten Lippen blieben verschlossen, seine Wünsche unausgesprochen. Schließlich gab Khalid verärgert die Suche auf. »Dieser Hurensohn soll sein Gesicht zeigen, ein einziges Mal«, schwor er im sanften Halbdunkel von Mahounds Zelt.
    »Ich werde ihn in Scheiben schneiden, die so dünn sind, dass man durch sie hindurchsehen kann.«
    Khalid schien es, als sei Mahound enttäuscht, aber im Dämmerlicht des Zelts konnte er sich dessen nicht sicher sein.
    Jahilia gewöhnte sich an das neue Leben: fünfmal täglich der Gebetsruf, kein Alkohol, die Frauen hinter Schloss und Riegel.
    Auch Hind zog sich in ihre Gemächer zurück… Aber wo war Baal?
    Gibril träumte von einem Vorhang.
    Hijab, »der Vorhang«, hieß das beliebteste Bordell Jahi lias - ein riesiger Palazzo mit Dattelpalmen und plätschernden Springbrunnen im Innenhof, ringsherum begrenzt von Gemächern, einem verwirrenden Mosaik von Zimmern, einem Labyrinth von Korridoren, die absichtlich gleich gestaltet waren mit den gleichen kalligraphischen Liebeshymnen, mit den gleichen Teppichen und den gleichen großen Steinkrügen an der Wand. Besucher des »Vorhangs« konnten ohne Hilfe weder in die Gemächer ihrer auserwählten Kurtisane gelangen noch zurück auf die Straße finden. So waren die Mädchen vor unerwünschten Gästen geschützt und gleichzeitig wurde verhindert, dass die Gäste gingen, ohne bezahlt zu haben.
    Hochgewachsene tscherkessische Eunuchen, als lächerliche Dschinns verkleidet, geleiteten die Kunden an ihr Ziel und wieder zurück, zuweilen mit Hilfe eines Bindfadens. Es war eine gedämpfte, fensterlose Welt von Draperien, beherrscht von der uralten und namenlosen Madame, die auf einem von schwarzen Schleiern verhüllten Sessel thronte und deren gutturale Äußerungen im Lauf der Jahre so etwas wie Orakelsprüche geworden waren. Weder ihr Personal noch die Kunden waren imstande, dieser sybillinischen Stimme nicht zu gehorchen, die gewissermaßen die profane Antithese zu den geheiligten Äußerungen war, die Mahound in seinem großen, leichter zugänglichen Zelt ganz in der Nähe von sich gab. Als sich der mit Rötel gefärbte Dichter Baal vor ihr zu Boden warf und sie um Hilfe bat, wurde daher ihre Entscheidung, ihn zu verstecken und sein Leben zu retten, als ein Akt nostalgischer Erinnerung an den schönen, lebhaften und verdorbenen jungen Mann, der er einmal gewesen war, ohne Widerrede hingenommen. Und als Khalids Soldaten eintrafen, um das Haus zu durchsuchen, fü hrten die Eunuchen sie auf eine schwindelerregende Reise durch jene oberirdische Katakombe voller Widersprüche und Irrwege, bis

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