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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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seinem Hotelzimmer zu zittern begann, war es, weil er vor Angst halb wahnsinnig war; sein Goldschatz hatte sich plötzlich in den Fluch eines Zauberers verwandelt.
    Diese zwei Wochen in London, bevor er ins Internat kam, wurden zu einem Alptraum aus Kassenzetteln und Kalkulationen, da Changez das, was er sagte, auch meinte und kein einziges Mal in die eigene Tasche griff. Salahuddin musste sich seine Kleidung selbst kaufen, wie zum Beispiel einen doppelreihigen, blauen, gefütterten Regenmantel und sieben blau-weiß gestreifte Van-Heusen-Hemden mit abnehmbarem, halbsteifem Kragen, die Changez ihn jeden Tag tragen ließ, damit er sich an den Kragenknopf gewöhnte, und Salahuddin hatte das Gefühl, als ob eine stumpfe Klinge sich genau unter seinem gerade hervorgetretenen Adamsapfel in den Hals bohrte; und er musste sicherstellen, dass genug Geld für das Hotelzimmer da war und für alles andere, so dass er zu nervös war, um seinen Vater zu fragen, ob sie ins Kino gehen konnten, nicht ein einziges Mal, ni cht einmal in Die Hölle von St. Trinians, oder ob sie essen gehen konnten, kein einziges Mal chinesisch, und in späteren Jahren erinnerte er sich an nichts mehr, was in diesen ersten zwei Wochen in seinem geliebten Ellohenn Deeohenn passiert war, außer an Pfund Shilling Pence, wie der Schüler des Königs und Philosophen Chanakya, der den großen Mann fragte, was er damit meine, wenn er behaupte, dass man in der Welt leben und gleichzeitig nicht in ihr leben könne, und dem ge antwortet wurde, er solle einen Krug randvoll mit Wasser durch eine feiernde Menschenmenge tragen, ohne einen Tropfen zu verschütten, bei Todesstrafe, so dass er bei seiner Rückkehr unfähig war, die Festlichkeiten des Tages zu beschreiben, er war wie ein Blinder gewesen, hatte nur den Krug auf seinem Kopf gesehen.
    Changez Chamchawala wurde sehr still in diesen Tagen, und es schien ihm gleichgültig zu sein, ob er aß oder trank oder irgendetwas tat, er war zufrieden, im Hotelzimmer vor dem Fernsehapparat zu sitzen, vor allem wenn die Familie Feuerstein zu sehen war, denn, so sagte er seinem Sohn, diese Wilma Bibi erinnere ihn an Nasreen. Salahuddin versuchte, sich als Mann zu erweisen, indem er mit seinem Vater fastete, versuchte, es länger auszuhalten als er, aber er schaffte es nie, und wenn die Krämpfe zu stark wurden, verließ er das Hotel und ging in die billige Imbissbude nebenan, in der man Brathühner kaufen konnte, die fetttriefend im Schaufenster hingen und sich langsam auf Spießen drehten. Wenn er mit dem Brathuhn die Hotelhalle betrat, genierte er sich, er wollte nicht, dass das Personal ihn sah, deshalb stopfte er das Huhn unter den doppelreihigen Regenmantel, und als er im Lift hinauffuhr, roch er nach Huhn am Spieß, sein Mantel wölbte sich, sein Gesicht lief rot an. Hühnerbrüstig den Blicken von reichen Witwen und Liftwallas ausgesetzt, spürte er, wie der unversöhnliche Zorn in ihm geboren wurde, der über ein Vierteljahrhundert unvermindert in ihm lodern sollte, der seine kindliche Vaterverehrung verbrennen und einen weltlichen Menschen aus ihm machen würde, der alles tun würde, um ohne irgendeine Art von Gott auszukommen, der, vielleicht, seine Entschlossenheit festigen würde, das zu werden, was sein Vater nicht-war-nie-sein-konnte, nämlich ein echter richtiger Engländer. Ja, ein Engländer, selbst wenn seine Mutter in allem recht gehabt hatte, selbst wenn es in den Toiletten nur Papier gab und man nach dem Sport in lauwarmes, trübes Wasser voll Schmutz und Seife steigen musste , selbst wenn es ein Leben zwischen winterkahlen Bäumen bedeutete, deren Finger sich verzweifelt an die wenigen fahlen Stund en wässrigen , gefilterten Lichts klammerten. In Winternächten lag er, der nie unter mehr als einem Laken geschlafen hatte, unter Bergen von Wolle und fühlte sich wie eine Gestalt aus einem alten Mythos, von den Göttern dazu verdammt, dass ein schwerer Stein auf seiner Brust lastete: aber egal, er würde Engländer sein, selbst wenn seine Klassenkameraden über seine Stimme kicherten und ihn von ihren Geheimnissen ausschlössen, weil dieses Ausgeschlossensein nur seinen Willen stärkte, und damals begann er, Theater zu spielen, sich Masken anzueignen, die diese Kerle wiedererkennen würden, Bleichgesichtmasken, Clownmasken, bis er sie soweit genarrt hatte, dass sie glaubten, er wäre okay, er wäre einer-von-uns. Er narrte sie so, wie ein feinfühliger Mensch Gorillas dazu bewegen kann, ihn in ihre

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