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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Augen für diese Wahrheit geöffnet worden waren. Und was war die Wahrheit? Dies: Al-Lat war tot, hatte nie gelebt, was Mahound aber noch lange nicht zum Propheten erhob. Kurzum: Baal war ein Gottloser geworden. Er begann, mit unsicheren Schritten über die Vorstellungen von Göttern und Führern und Gesetzen hinauszugehen und zu erkennen, dass seine Geschichte so eng mit der Geschichte Mahounds verwoben war, dass eine große Entschlossenheit vonnöten war. Dass diese Entschlossenheit höchstwahrscheinlich seinen Tod bedeuten würde, fand er weder erschreckend noch sonderlich beunruhigend; und als Musa, der Lebensmittelhändler, eines Tages murrend von den zwölf Frauen des Propheten sprach, ein Gesetz für ihn, ein anderes für uns, da begriff Baal, welche Form seine endgültige Konfrontation mit der UNTERWERFUNG würde annehmen müssen.
    Die Mädchen des »Vorhangs« - es war nur eine Gepflogenheit, sie als Mädchen zu bezeichnen, denn die Älteste war eine Frau weit in den Fünfzigern, während die Jüngste, eine Fünfzehnjährige, erfahrener war als manche Fünfzigjährige - hatten diesen watschelnden Baal allmählich ins Herz geschlossen und Gefallen daran gefunden, einen Eunuchen-der-keiner-war um sich zu haben. Außerhalb der Arbeitszeit ergötzten sie sich daran, ihn aufzuziehen, boten ihre Körper dar, legten ihre Brüste an seine Lippen, schlangen die Beine um seinen Leib, küssten einander leidenschaftlich direkt vor seinen Augen, bis der aschfahle Dichter hoffnungslos erregt war; dann lachten sie über seine Steifheit und spotteten, bis er schamrot und verlegen sc hrumpfte. Und manchmal, selten, wenn er schon alle Erwartung aufgegeben hatte, wurde eine von ihnen auserwählt, die Lust, die sie in ihm erweckt hatten, kostenlos zu befriedigen. So verbrachte der Dichter seine Tage, wie ein kurzsichtiger, blinzelnder, friedlicher Bulle; den Kopf in den Schoß der Frauen gebettet, grübelte er über Tod und Rache und hätte nicht sagen können, ob er der glücklichste oder der unglücklichste Mensch auf Erden war.
    Es war während einer dieser vergnüglichen Stunden am Ende eines Arbeitstages, die Mädchen waren allein mit den Eunuchen und tranken Wein, als Baal die Jüngste über ihren Kunden, den Lebensmittelhändler Musa, reden hörte. »Also«, sagte sie, »der Typ hat ‘nen Tick, redet dauernd über die Frauen des Propheten. Er ist so fuchsteufelswild, dass er schon geil wird, wenn er bloß ihre Namen ausspricht. Er meint, dass ich Aischa wie aus dem Gesicht geschnitten bin, und sie ist ja bekanntlich der Liebling Seiner Hoheit. Na, was sagt ihr jetzt?«
    Die fünfzigjährige Kurtisane schaltete sich ein. »Hör mal zu, die Frauen in diesem Harem da, die Männer reden von nichts anderem mehr. Kein Wunder, dass Mahound sie eingesperrt hat, aber dadurch ist es nur noch schlimmer geworden. Was man nicht sehen kann, malt man sich eben in der Phantasie aus.«
    Besonders in dieser Stadt, dachte Baal, vor allem in unserem sittenlosen Jahilia, wo die Frauen bunte Kleider trugen, bevor Mahound mit seinem Gesetzbuch aufkreuzte, und die Leute nur über Sex und Geld, Geld und Sex sprachen, und nicht nur sprachen.
    Er sagte zu der jüngsten Hure: »Warum machst du dann nicht mit und spielst ihm was vor?«
    »Wem?«
    »Musa. Wenn Aischa ihn so erregt, dann sei ihm doch seine private, persönliche Aischa.«
    »Gottogott«, sagte das Mädchen, »Sag das nicht zu laut, sonst braten sie deine Eier in Butter.«
    Wie viele Frauen? Zwölf, und eine alte Dame. Längst verstorben. Wie viele Huren hinter dem »Vorhang«? Wiederum zwölf; und, versteckt auf ihrem schwarzumhangenen Thron: die uralte Madame, die noch immer dem Tod die Stirn bot. Wo kein Glauben ist, da gibt es auch keine Gotteslästerung. Baal erzählte der Madame von seiner Idee; sie verkündete ihre Entscheidung mit der Stimme eines heiseren Froschs: »Es ist sehr gefährlich«, sprach sie, »aber es dürfte sehr gut für’s Geschäft sein. Wir müssen vorsichtig sein, aber wir werden es machen.«
    Die Fünfzehnjährige wisperte dem Lebensmittelhändler etwas ins Ohr. Sofort leuchteten seine Augen auf. »Erzähl mir alles«, bettelte er. »Von deiner Kindheit, von deinen Lieblingsspielen, von Salomons Pferden, erzähl mir, wie du Tamburin gespielt hast und der Prophet dir dabei zugesehen hat.« Sie erzählte es ihm, und dann wollte er wissen, wie es war, als sie im Alter von zwölf Jahren entjungfert worden war, und sie erzählte ihm auch das, und hinterher

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