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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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sich ihnen alles im Kopf drehte, und nachdem sie in neununddreißig Steinkrüge geschaut und nichts gefunden hatten außer Salben und Gepökeltem, zogen sie heftig fluchend wieder ab, nicht ahnend, dass es einen vierzigsten Korridor gab, den man ihnen nicht gezeigt hatte, einen vierzigsten Krug, in der sich, wie ein Dieb, der zitternde Dichter verbarg, der sich in die Hosen gemacht hatte.
    Anschließend befahl die Madame den Eunuchen, Haut und Haar des Dichters blauschwarz zu färben. Sie steckte ihn in Pluderhosen und Turban eines Dschinn und verordnete ihm einen Bodybuilding-Kurs, da, wenn er nicht rasch Muskeln zulegte, sein Mangel an Kondition gewiss Verdacht erregen würde.
     
    Während seines Aufenthalts hinter dem »Vorhang« musste Baal nicht auf Informationen über das, was draußen passierte, verzichten. Ganz im Gegenteil, denn im Rahmen seiner Eunuchentätigkeit hielt er Wache vor den Lustgemächern und hörte die Kunden klatschen. Deren Schwatzhaftigkeit, ausgelöst durch das fröhliche, hemmungslose Liebesspiel der Huren und bestärkt durch das Wissen, dass ihre Geheimnisse hier sicher waren, ermöglichte dem heimlich lauschenden Dichter, so kurzsichtig und schwerhörig er auch sein mochte, einen besseren Einblick in die politischen Verhältnisse als er ihn je hätte gewinnen können, wenn er auf den neuerdings puritanischen Straßen der Stadt hätte herumflanieren dürfen.
    Die Schwerhörigkeit war gelegentlich ein Problem, denn die Kunden senkten oft die Stimme und flüsterten, und so kam es zu Wissenslücken; aber sie nahm seiner Lauscherei auch jegliche Lüsternheit, weil er eben nicht hören konnte, was während der Hurerei geflüstert wurde, außer natürlich in jenen Momenten, in denen ekstatische Kunden oder simulierende Arbeiterinnen aus tatsächlicher oder gespielter Lust laut aufschrien.
    Was Baal im »Vorhang« erfuhr:
    Von dem übellaunigen Metzger Ibrahim hörte er die Nachricht, dass die nur nach außen hin Bekehrten von Jahilia trotz des neuen Schweinefleischverbots sich massenweise an seiner Haustür einfanden, um heimlich das verbotene Fleisch zu kaufen. »Das Geschäft geht gut«, murmelte er, während er seine Dame bestieg, »der Schwarzmarktpreis für Schweinefleisch ist geklettert, aber diese neuen Gesetze machen mir die Arbeit schwer, verdammt noch mal. Es ist nicht leicht, ein Schwein heimlich zu schlachten, ohne Lärm«, und dann begann er selbst zu quieken, aber vermutlich eher vor Vergnügen als vor Schmerz. Und der Lebensmittelhändler Musa gestand einer anderen Hausangestellten vom horizontalen Gewerbe, dass man die alten Gewohnheiten nur schwer ablegen könne; wenn er sicher sei, dass niemand zuhöre, richte er nach wie vor ein Gebet an Manat, »die mir immer die Liebste gewesen ist, und manchmal, was soll man machen, auch an Al-Lat; weibliche Götter sind einfach Spitze, sie haben Attribute, mit denen es die Jungs nun mal nicht aufnehmen können«, woraufhin auch er sich mit Macht über die irdischen Imitationen dieser Attribute stürzte. So kam es, dass der welke, dahinwelkende Baal in seiner Verbitterung lernte, dass kein Reich ewig, kein Sieg vollständig ist. Und, langsam, kam Kritik an Mahound auf.
    Baal hatte angefangen, sich zu verändern. Die Nachricht von der Zerstörung des großen Al-Lat-Tempels zu Taif, die ihm zwischen den Grunzern des heimlichen Schweineschlächters Ibrahim zu Ohren gekommen war, hatte ihn unendlich traurig gestimmt, weil seine Liebe zu der Göttin, selbst auf dem Höhepunkt seines jugendlichen Zynismus’, echt, vielleicht sein einziges echtes Gefühl überhaupt gewesen war, und ihr Sturz ließ ihn die Falschheit eines Lebens erkennen, in dem die einzige wahre Liebe einem wehrlosen Stein gegolten hatte.
    Nachdem der erste stechende Schmerz seiner Trauer abgeklungen war, gelangte Baal zu der Überzeugung, dass mit Al-Lats Sturz auch sein eigenes Ende nicht mehr weit sei. Er verlor jenes eigentümliche G efühl der Sicherheit, das er im »Vorhang« kurz kennengelernt hatte, aber das neuerliche Bewusstsein der Vergänglichkeit und die Gewissheit , entdeckt zu werden und dann sterben zu müssen, machten ihm interessanterweise nicht Angst . Er, der sein Leben lang ein eingefleischter Feigling gewesen war, stellte jetzt zu seiner großen Überraschung fest, dass der Gedanke an den bevorstehenden Tod ihn tatsächlich befähigte, die Süße des Lebens zu genießen, und er fand es paradox, dass ihm ausgerechnet in diesem Haus kostspieliger Lügen die

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