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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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unappetitlicher en Aspekte der neuen Ordnung im »Vorhang«. Aber Geschäft war Geschäft, und auch diese Neigung wurde von den Kurtisanen befriedigt.
    Nach Ablauf des ersten Jahres waren die zwölf so sehr in ihre Rollen hineingewachsen, dass ihre ursprünglichen Identitäten zu verblassen begannen. Baal, der mit jedem Monat kurzsichtiger und schwerhöriger wurde, sah die Mädchen nur noch als schemenhafte Silhouetten an ihm vorübergehen, unscharf, irgendwie verdoppelt, wie übereinandergelegte Schattenbilder. Die Mädchen fingen ihrerseits an, Baal in einem neuen Licht zu sehen. In der damaligen Zeit war es üblich, dass eine Hure bei Eintritt in das Berufsleben sich die Art Ehemann nahm, der sie mit Sicherheit in Ruhe ließ - einen Berg etwa oder einen Brunnen oder einen Busch -, um der Form halber den Rechtstitel einer Verheirateten beanspruchen zu können.
    Im »Vorhang« galt die Regel, dass die Mädchen die Liebesfontäne, die im Innenhof stand, heirateten, doch inzwischen hatte sich Unzufriedenheit angestaut, und eines Tages gingen die Prostituierten gemeinsam zur Madame, um ihr zu eröffnen, dass sie sich alle als Frauen des Propheten betrachteten und deshalb einen besseren Mann verdient hätten als einen wasserspeienden Stein, was ja geradezu frevlerisch sei; und sie alle hätten beschlossen, den Tollpatsch Baal zum Mann zu nehmen. Die Madame wollte ihnen das zuerst ausreden, aber als sie sah, dass es den Mädchen ernst war, stimmte sie zu und schickte nach dem Dichter. Unter viel Gekicher schubsten die zwölf Kurtisanen den watschelnden Schriftsteller in den Thronsaal. Als Baal von dem Plan hörte, begann sein Herz so unregelmäßig zu schlagen, dass er wankte und hinfiel, und Aischa schrie entsetzt auf: »Mein Gott, wir werden Witwen sein, noch ehe wir verheiratet sind!«
    Doch er erholte sich: sein Herz fand in seinen alten Rhythmus zurück. Und da Baal keine andere Wahl blieb, nahm er den zwölffachen Heiratsantrag an. Daraufhin traute die Madame persönlich alle zwölf Mädchen, und in dieser Lasterhöhle, dieser Antimoschee, diesem Labyrinth der Gottlosigkeit wurde Baal mit den Frauen des ehemaligen Geschäftsmanns Mahound vermählt.
    Seine Frauen machten ihm nun klar, dass er seine ehelichen Pflichten in jeder Hinsicht zu erfüllen habe, und arbeiteten einen Rotationsplan aus, demzufolge er mit jedem Mädchen reihum einen Tag verbringen konnte (im »Vorhang« ging es umgekehrt zu: die Nacht war für die Arbeit da, der Tag für die Ruhe). Kaum hatte Baal mit diesem strapaziösen Programm begonnen, da beriefen sie auch schon eine Konferenz ein, auf der ihm bedeutet wurde, dass er sic h gefälligst etwas mehr wie der »echte« Mann, das heißt, Mahound, benehmen solle. »Warum kannst du nicht, wie wir alle auch, deinen Namen ändern?« rief die jähzornige Hafsah, aber jetzt hatte Baal genug. »Vielleicht kann man nicht besonders stolz auf ihn sein«, antwortete er unbeirrt, »aber es ist mein Name. Und ich arbeite hier ja auch nicht mit den Kunden. Es gibt aus geschäftlicher Sicht keinen Grund für eine Namensänderung.« »Na ja, wie auch immer«, meinte die sinnliche Maria die Koptin mit einem Achselzucken.
    »Ob mit oder ohne Name, wir wollen, dass du anfängst, dich genau wie er zu benehmen.«
    »Ich weiß nicht…«, begann Baal zu protestieren, aber Aischa, eigentlich die Schönste von allen - jedenfalls war er seit neuestem dieser Ansicht - , zog eine niedliche Schnute.
    »Ehrlich, mein Gemahl«, schmeichelte sie ihm, »es ist nicht so schwer, ehrlich. Weißt du, wir wollen einfach, dass du der Chef bist.«
    Es stellte sich heraus, dass die Huren des »Vorhangs« die altmodischsten und traditionsbewusstesten Frauen von ganz Jahilia waren. Ihre Arbeit, die leicht zu Zynismus und Ernüchterung hätte führen können (und natürlich waren sie durchaus imstande, in Bezug auf ihre Kunden grausame Ansichten zu entwickeln), hatte stattdessen Träumerinnen aus ihnen gemacht. Abgeschieden von der Außenwelt, fantasierten sie von einem »normalem Leben«, in dem sie nichts mehr sein wollten als die gehorsame und - jawohl - unterwürfige Gefährtin eines Mannes, der klug, liebevoll und stark war. Das heißt: das jahrelange Inszenieren von Männerphantasien hatte schließlich ihre Träume korrumpiert, so dass sie im Grunde ihres Herzens sich nichts anderes wünschten, als dem ältesten männlichen Wunschbild zu entsprechen. Die zusätzliche Würze, das Eheleben des Propheten nachzuspielen, hatte sie

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